Foto: "Othello Reloaded" am Theater Trier. Daniel Kröhnert, Jan Schuba, Andrea M. Pagani, Jan Brunhoeber, Christian Miedreich © Marco Piecuch
Text:Rainer Nolden, am 22. Juni 2015
Das war’s dann also mit der Ära Gerhard Weber am Theater Trier. Nach gut zehn Jahren verlässt er die Mosel Richtung Ruhestand. Aber zuvor wollte er es noch mal richtig krachen lassen – und das ist ihm wahrlich gelungen. Mit dem Komponisten und Schauspieler Sven Sorring, einem alten Kämpen aus Saarbrücker Tagen, hat er sich einen veritablen Klassiker zum Abschied vorgenommen. Gemeinsam haben sie „Othello“ auf die Bühne gebracht – und dem Shakespeare-Original in der Übersetzung von Frank Günther Liedtexte und Musik hinzugefügt, in eine kriegerische Zukunft auf eine Insel im Südpazifik verlagert, das Ganze „Othello reloaded“ genannt und im rostig-ruppigen Ambiente einer ehemaligen Fabrikhalle uraufgeführt.
Nun hat es schon verschiedene mehr oder weniger geglückte Versuche gegeben, aus „Othello“ ein Musical zu machen. Aber als solches will es Sorrig auf keinen Fall verstanden wissen. Folglich verweigert er dem Zuschauer die schwelgerische Reizharmonik und die genreüblichen Liebeslieder. Stattdessen hat er für seine Band „Cowgaroo“ harten, hämmernden Rock geschrieben, der sich nicht so schnell ins Ohr einnisten will (und nebenbei auch an die Sänger/Schauspieler hohe Anforderungen stellt, die ihre Partien stimmgewaltig und mit Bravour meistern, unterstützt natürlich von den mittlerweile üblichen Microports, ohne die sie aber gegen die vierköpfige Band gnadenlos abgesoffen wären), dafür aber zum einen die Verderbtheit und zum anderen die Verzweiflung der handelnden Personen anschaulich in Töne umsetzt.
Erstaunlicherweise: die anfängliche Skepsis („Was haben sie Shakespeare jetzt schon wieder angetan?“) weicht nach und nach der Erkenntnis, dass diese Bearbeitung ziemlich genau den Geist der Vorlage trifft – die Brutalität der kriegerischen Auseinandersetzungen ebenso wie die teuflische Menschenverachtung und das zerstörerische Intrigenspiel Jagos, den Sorrig selbst mit bewundernswerter Widerwärtigkeit gibt und mit Schaudern machender Konsequenz drei Stunden lang durchhält. Mit zunehmender Faszination schaut man diesem Scheusal zu, wie es seinen rigorosen Vernichtungsfeldzug nicht nur gegen den zum General und Bomberpiloten mutierten Othello (Andrea M. Pagani als in seiner tosenden Eifersucht geradezu bemitleidenswerter Tropf), sondern gegen alle führt, die ihm nicht gefallen oder seinen Plänen im Wege stehen. Wenn schon Shakespeare die Banalität des Bösen nicht erklärt, so wird sie in der „reloaded“-Version erst recht als unbegreifliches Phänomen präsentiert, das mit Worten nicht zu fassen ist.
Lediglich Emilia (Sabine Brandauer) hat zumindest eine Ahnung von der abgrundtiefen Verderbtheit ihres Gatten, womit sie zur einzigen tragischen, weil erkennenden Figur in diesem Rock-Shakespeare wird. Desdemona (Nadine Eisenhardt) dagegen, obwohl – eigentlich – selbstbewusste Geschäftsfrau mit eigener Designer-Linie, bleibt gehorsames Schaf, ein unterwürfiges Weibchen, das nur einmal kurz gegen den Vater (Klaus-Michael Nix als Brabantio) aufmuckt, ansonsten bis zum Schluss nichts kapiert und sich wie eine Fünfjährige vom Ehemann ins Bett schicken und ziemlich widerstandslos töten lässt.
Alles in allem ist „Othello“ eins der düstersten Shakespeare-Stücke und „Othello reloaded“ die denkbar kälteste Bearbeitung eines Shakespeare-Dramas, zu der die zu einem unwirtlichen Ort verbaute Spielfläche (die Idee zum Bühnenbild stammt ebenfalls von Weber, Mike Grünwald und Peter Müller haben sie Realität werden lassen) ihren Anteil beiträgt. Die bizarren, zwischen Fritz Langs „Metropolis“ und „Raumschiff Enterprise“ angesiedelten Kostüme von Alexandra Bentele tun ihr Übriges, um den Zuschauer mit Brabantio seufzen zu lassen: „Was hier geschieht, das ist fast wie mein Traum.“
Aber einer von der beängstigendsten Sorte.