Foto: Szene mit Cathrin Störmer, Katja Jung und Pia Händler © Simon Hallström
Text:Elisabeth Maier, am 11. März 2016
Mit seinen Jüngern tanzt Dionysos, der Gott des Rausches, auch der des Theaters, ins Verderben. Auf Leinwand beschmieren sie sich mit einem Gemisch aus Rote Beete und Wein. Alkoholgeruch und Trauben erinnern daran, dass er auch als Bacchus und Gott des Weins firmiert. Nur glaubten in Theben viele, dass er dem Zeus nur untergeschoben, also sterblich sei. Mit einer Körperorgie zieht Regisseur Robert Borgmann, auch schon beim Theatertreffen vertreten, das Publikum am Theater Basel in die Faszination der griechischen Tragödie „Die Bacchen“ hinein. Mit Roland Schimmelpfennig hat ein Gegenwartsdramatiker den verwirrenden Text neu bearbeitet.
Frühere lyrische Übersetzungen versinken in wollüstigen Sprachbildern und Chaos. Schimmelpfennig erfindet die Tragödie nicht neu. Vielmehr sucht er nach einem Rhythmus, der heute passt. Hass und Kälte hämmern in nackten Sätzen. Er bricht das Endzeit-Drama von Dionysos, der zornig um seine Anerkennung als Gott stritt, auf den politischen Kampf herunter. Schock, Rock und Happening münden in ein intelligentes Theater des Erkennens, das die Schauspieler brillant umsetzen. Die Bearbeitung hat Schimmelpfennig für Jürgen Gosch geschrieben, der sie bei den Salzburger Festspielen 2009 uraufführen wollte, aber starb. Damals wurde der Text nur szenisch gelesen. Es ist also eine ungewöhnliche Uraufführung, die Basel da beansprucht. Borgmann eröffnet mit seiner aufwühlenden Theatersprache einen neuen Blick auf den Irrsinn der Gewalt. Euripides ist von antiker Patina befreit.
Die blutverschmierte Leinwand der Orgie integriert Borgmann in sein Bühnenbild. Sie wird wie ein Kunstwerk über schwarzweiße Ornamente gezogen. Der Ort ist das Gebirge, in dem die Mänaden oder Bacchen, Verehrerinnen des Gottes, blutige Opfer brachten. Stroboskoplicht zerfasert den Raum. Lili Anschütz hat Kostüme entworfen, die sich an der Historie orientieren, und deren Motive doch untergraben. Der Efeustab, die zerzausten langen Haare und Tierfelle – dazu ein klapperndes Gebiss, das der alte König um den Hals trägt. Mit Philipp Webers großartiger Gitarren- und Synthesizermusik, die psychedelische Weiten öffnet, reißt Borgmann die Spieler in einen Sog.
Im Blutrausch lässt Thiemo Strutzenberger seinen Dionysos eine Philosophie entwickeln, die nichts mit naivem Naturkult zu tun hat. Er ist Demagoge, Fundamentalist und Verführer, der den König Pentheus, eigentlich ein Machtmensch ohne Skrupel, in Stöckelschuhe zwingt. Zuvor wollte der Theben von den Umtrieben der Bacchen säubern. Ingo Tomi glückt der Balanceakt zwischen einem kalten Herrscher und einem verletzlichen Mann. Dass ihn Borgmann mit Dionysos in homoerotische Spiele treibt, überzeugt.
Aus dem starken Ensemble sticht Katja Jung als Pentheus‘ Mutter Agaue hervor. Mit Charisma zeigt sie, weshalb eine Frau ihren Sohn bei lebendigem Leibe zerreißen kann. Mit einem Kopf, von rohem Fleisch überzogen, steht sie da. Bis sie erkennt, dass ihr Opfer kein Löwe, sondern ihr Kind ist. Ruhig sitzt Pentheus auf dem Biedermeier-Sofa. Am Ende schaufelt er Mutter und Großvater mit Erde zu. Die Toten sind begraben. Was bleibt, ist Fassungslosigkeit. Aufgesetzt wirken die Filmbilder von Flüchtlingen und gleichgeschalteten Menschen am Schluss. Denn Euripides‘ Thesen über den Terror, der in den Köpfen beginnt, spitzt das Untergangsspektakel szenisch weit überzeugender zu.