Foto: Michael Miensopust als Richard III. © Karen Schultze
Text:Wilhelm Triebold, am 26. Januar 2020
Der Titelzusatz „great again“ weist die Richtung vor: Hier ist nicht nur Richard Plantagenet aus dem Hause York gemeint, der skrupelloseste Schurke in Shakespeares Reich, sondern auch der Prototyp des modernen Machtmenschen, wie ihn derzeit am besten ein größenwahnsinniger New Yorker Immobiliendealer im Weißen Haus verkörpert. Es wäre aber zu billig, Michael Miensopusts Richard III. als bloßen Trump-Abklatsch zu verstehen – genau genommen kommt der Lautsprecher mit der schmissigen Fönfrisur in den rund 70 Minuten auf der Tonne- Bühne kaum vor. Und bleibt doch irgendwie präsent.
Miensopust, der früher die Kinder- und Jugendtheatersparte am Tübinger Landestheater geleitet hat, steht ganz offensichtlich in der Tradition der lustigen Shakespeare-Verschlanker, die sich vor 30 Jahren anschickten, sämtliche Werke des Dramatikers „leicht gekürzt“ (wie es hieß) auf Reader’s-Digest-Format einzudampfen. Findige Nachahmer zerlegten danach einzelne Komödien und Tragödien in ihre Einzelteile. Auch Miensopust nahm sich dann irgendwann Shakespeare zur Brust. Und stauchte dabei Regentenlegenden wie „Heinrich V.“ ebenso zusammen wie die Schauermär vom ruch- und ruhelosen Meuchelörder („Macbeth kann nicht schlafen“). Kredenzte einen kurzen „Sommernachtstraum – nur für Verliebte“ oder zurrte mit „Kings“ gleich fünf Königsdramen zusammen.
Nun also Bastard Richard, in der Erbfolge vom Wunschziel Thron noch weiter entfernt als Prinz Harry. Nur dass sich dieser frühe rabiate Möchtegern-Royal und selbsternannte Bösewicht nicht artig vom Acker macht, sondern lieber schmutzig, aber beharrlich vordrängelt. Bis er irgendwann die heißersehnte Königskrone auf dem wirren Schopf trägt.
Im Reutlinger Tonne-Theater wühlt sich Miensopust zuerst einmal als kaputter, zerknautschter Anzugtyp nach vorne, um an die Bühnenrampe ziemlich fies in eine Videokamera zu linsen: ganz versessen darauf, die brutale Machtvisage gleich mal raumfüllend auszustellen. Das übrige Personal hängt derweil nur in Form von leeren Sakkos und Klamotten schlapp über Stuhllehnen rum. Und am Boden zerpflückte Rosenblüten künden vom bevorstehenden Ende der englischen Rosenkriege (Ausstattung: Vesna Hiltmann). Schief hängende Schulter, weiche Beine, ein (selbst)mittleiderregendes Erscheinungsbild: Miensopust macht das schlau, wie er diese Figur aufbaut. Er bricht früh schon die eingestreuten O-Töne aus Shakespeares Drama („Zu Possenspielen nicht gemacht: Nee, is irgendwie nicht mein Ding…“) und bastelt sich von Anfang an einen kindischen, närrischen Emporkömmling, der nicht nur über Leichen geht, sondern ihnen gern noch einen zärtlichen Tritt verpasst. Schlüpft er in eine andere Rolle, genügt dem Schauspieler meistens ein Jackenärmel, den er sich geschwind überstreift, oder eine andere, leicht andeutende Verstellung, die damit die Figur einen Moment lang neben sich stehen lässt.
Miensopust macht sich so hemmungslos die Vorlage zunutze, bricht sie auf, bricht auch ebenso oft ab, um sich beispielsweise über das traurige Los der Nebenrolle an sich zu verbreiten. Und verliert doch über allen Abschweifungen und Späßen das eigentliche Ziel nicht aus den Augen: den Aufstieg und Fall eines gefährlichen, zutiefst lächerlichen Menschen nachzuzeichnen.
Je höher Richard steigt, desto mehr nähert er sich den heutigen Machtfiguren an, zur Kenntlichkeit entstellt. Sie spotten vielleicht jeglicher Vernunft, nicht aber der Beschreibung durch das Theater. Hier verdichten sie sich zu einer Person, die vom „Ehrenwort“ faselt oder auch davon, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen. Als negative Projektions- und Identifikationsfläche hat dieser Richard, wie gesagt, am Ende weniger als vermutet mit Donald Trump zu tun. Sondern eher mit dem Clown in Downing Street, dessen blondes Strubbelhaar hier unter der hart erkämpften Krone leuchtet und nötige Weitsicht verhindert. Ein moderner Nero, mit der ihm zugefallenen Hauptrolle heillos überfordert.
Wie löst man am Ende dieses Problem? Miensopust findet für sich und seinen Richard eine fast schon elegante Lösung. Wo der in die Enge getriebene Machthaber sein Königreich für ein Pferd hergeben möchte, steigt King Miensopust einfach aus. Meuchelt schließlich sogar Shakespeare, der ihm als Handpuppe allzu hartnäckig im Kreuz saß, und verabschiedet sich schleunigst. Wohin? Wo es den Mimen angeblich immer hinzieht. In die Theaterkantine.