Foto: Ensembleszene aus dem Musical "Singin' in the rain" am Staatstheater Nürnberg. © Jutta Missbach
Text:Dieter Stoll, am 16. Februar 2015
Die wichtigste Premieren-Frage bei diesem einst aus der Kino-Konserve zum Theaterleben hochgeschäumten Tanz-Musical, dessen Hollywood-Original dank kürzlicher arte-Ausstrahlung in aufgefrischtester Erinnerung war, ist natürlich klar: Wie heftig spritzt es live in der Pfütze beim Step von “Singin´ in the rain”? Ansonsten hat das Entertainment-Naschwerk mit seinen integrierten 30-Jahres-Sprüngen (Gene Kellys und Stanley Donens Film von 1952 blendet zurück in die cinematographisch sprachbehinderten Zwanziger an die Nahtstelle vom Stumm- zum Tonfilm, der Hopser auf die Bühne wurde erst 1982 gewagt, und die für Nürnberg und Linz entstandene Produktion ist nun vom Jahrgang 2015) den Anspruch auf zumindest kleine Kulturgeschichte. Für Nürnberg, wo das in den Oldie-Schwerpunkt des Opernhaus-Spielplans nach „Silk Stockings“, „Sweet Charity“ und „Funny Girl“ einsortiert wird, kam da gar unerwarteter Konkurrenz-Mehrwert dazu: Im benachbarten Fürther Theater entstand, teils sogar mit dem gleichen Team, zu Saisonbeginn „Sunset Boulevard“, ebenfalls ein Movie-Gedächtnisdrama der 50er in Bühnenmusical-Spätlese – allerdings mit wehendem Trauerflor für melodramatische Fallhöhen sowie im Webber-Sound neu getüncht. Sowas braucht „Singin´ in the rain“ nicht, das ist Nostalgie ohne Reue mit Bekenntnis zum strapazierfähigen Komödien-Glamour mit Leuchtkraft bis ins Duplikat.
Zuvorderst liegt das an der tatsächlich evergreenen Musik von Nacio Herb Brown. Der Reiz der Songs, die jeder für sich und erst recht im Bouquet munter funkelnde Blütenträume geblieben sind, wird von den überwiegend in anderen Gewichtsklassen kämpfenden Musikern der Staatsphilharmonie Nürnberg erfreulich locker ausgekostet. Dirigent Gábor Káli schreckt in der Ouvertüre mit ein paar knalligen Dissonanzen, setzt den harten Schnitt zur Entspannung und swingt danach wie ein Vortänzer am Pult. Man hört Wirkung.
Melissa King, die deutlich mehr Choreographin als Regisseurin ist, hat den Film so treuherzig wie möglich nachbuchstabiert. Mit groß angelegter Video-Animation in Bonbon-Bunt, einem halben Dutzend Palmen und exzessiver Kulissenschiebung (Bühne: Knut Hetzer) kutschiert sie die mannequinmagere Story vom gestelzten Stummfilm-Traumpaar (Sonnyboy mit heimlichem Tanz-Talent und Zimtzicke mit unheimlicher Mickymaus-Stimme) durch den Fahrplan. Die Diva scheitert keifend an Tonspur und Dämlichkeit, der Held findet für Liebe und Soundtrack die passende Alternative. Zwischendurch scheinen die Marx-Brothers ein paar Einfälle spendiert zu haben, und die wirken auf der Bühne so umwerfend wie im Kino. Es hätten mehr sein dürfen, denn zum Abheben in den höheren Blödsinn reicht die eigene Schubkraft der Inszenierung nicht und die kritischen Randbemerkungen zum Showbusiness, im Film wie Giftpfeilchen platziert, sind ohnehin kaum noch zu erkennen.
Achja, der Regen bringt Segen. Wenn der souveräne Gaines Hall in der Hauptrolle nach 90 Minuten zum Pausen-Finale verzückt bis in die Zehenspitzen die Titelmelodie anstimmt, steigert sich die Sprinkleranlage von der Tröpfelbrause zum Schnürlregen, und vier Gestalten mit Gießkannen schweben als unterstützende Wasserspender aus dem Bühnenhimmel. So absurd hätte eine andere, wildere Aufführung draus werden können. Meistens bleibt bei dieser aber nur wichtig, dass die Dialog-Wege von einer Step-Nummer zur nächsten möglichst kurz sind. Wo ein Protagonist irgendwann im Geplapper ungeduldig „Weiter in der Show!“ ruft, ist das Konzept präzise umschrieben.
Die Show ist gut. Melissa King hat die Varianten der Step-Standards voll drauf und Nürnbergs Staatstheater bietet mit den zusammengekauften Facharbeitern (auch Sophie Berner, Filipina Henoch und Robin Poell sind Meisterklasse) incl. einem Dutzend Valentine-Girls und Ziegfeldtänzer das Miet-Ensemble, mit dem solch qualifizierter Leerlauf-Wirbel möglich ist.
Sollte tatsächlich jemand interessiert sein am Vergleich zwischen den Musical-Adaptionen nach Kino-Hits, also „Sunset Boulevard“ (nach Billy Wilder) gegen „Singin´ in the rain“ (nach Stanley Donen und Gene Kelly), dem sei denn doch der heitere Spaziergang im Regen empfohlen.
Viel Beifall, glänzender Vorverkauf. Was die Jahresquote der Opernhaus-Platzausnutzung betrifft, kann Nürnbergs Intendant auf den ursprünglichen deutschen Film-Titel vertrauen: „Du sollst mein Glücksstern sein“.