Cornelius Obonya, neuer Jedermann, und die neue Buhlschaft, Brigitte Hobmeier.

Der neue Jedermann

Hugo von Hofmannsthal: Jedermann

Theater:Salzburger Festspiele, Premiere:20.07.2013Regie:Julian Crouch / Brian Mertes

Es ist kein Zufall, dass sich die mediale Aufmerksamkeit beim „Jedermann“ in Salzburg auf die Buhlschaft konzentrierte. Seit 1920, als Max Reinhardt das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ zum ersten Mal aufführte hatte das Stück nur elf Regisseure. Zuletzt hat Christian Stückl im Jahr 2001 den Jedermann kräftig entstaubt.
Das Salzburger „Traumpaar“ ist in diesem Jahr ebenso neu wie die Inszenierung des Briten Julian Crouch und des US-Amerikaners Brian Mertes. Der vielseitige österreichische Darsteller Cornelius Obonya (Enkel von Attila Hörbiger, der auch schon der „Jedermann“ war) und Brigitte Hobmeier, rotblonder Star der Münchner Kammerspiele. Dass die Inszenierung aber gar keinen Bohey um sie macht, ist eines ihrer charmanten Kennzeichen.

Ganz zum Schluss, die Glocken läuten über einer Beerdigungsszene, stellen sich die Schauspieler in einer breiten Reihe auf. Als es still wird, brandet Applaus auf, der in Standing Ovations übergeht, als das Regieteam erscheint. Salzburg hat einen heftig akklamierten neuen „Jedermann“. Und es hat tatsächlich einen neuen „Jedermann“! Julian Crouch und Brian Mertes ist das Kunststück gelungen, dem Stück den religiösen Rahmen zurück zu geben, ohne einen religiösen Zeigefinger zu heben. Denn hier ist weniger heiliger Ernst als ernsthafter Kinderglaube im Spiel, wie sich gerade in der Schlussszene zeigt: Der Glaube in der Mitte, hoch oben; rechts und links Engel mit riesigen Flügeln; unten spielt ein Engel-Orchester. Das schrammt schon hart am Kitsch vorbei. Bevor aber Cornelius Obonya als „Jedermann“ geläutert aus dem Dom tritt, hat er eine zweite Taufe empfangen: Von oben, durch den Glauben, mit Wasser aus dessen Bettpfanne. Das Bild erdet die Szene im einfachen Ritual und rettet die unglaubwürdige Hofmannsthalsche Schnellbleiche zum Glauben. Das Regieteam kommt dem Autor mit zauberisch einfachen Mitteln bei und gibt dem Spiel gleichzeitig eine neue Mitte: Weg von der überbordenden Feier des Lebens hin zu der echten Zumutung – dass ein Mensch brutal und vor der Zeit aus dem Leben geholt wird. Jeder tritt diese Reise ganz alleine an, und täte schon deshalb gut daran, so etwas wie den Glauben im Gepäck zu haben, lautet die gut verdaubare Botschaft.

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Cornelius Obonya ist vielleicht nicht viriler, aber agiler als sein Vorgänger Peter Simonischek. Im Gesicht trägt er die Verlebtheit des alten Sünders genauso wie den spitzbübischen Ausdruck von Lebensfreude, Genuss und Schmäh. Sein erster Schrecken geht noch im Festgelage unter, danach darf er ausgiebigst jammern und sich ängstigen. Seine Buhlschaft Brigitte Hobmeier kommt mit dem Fahrrad auf die Bühne und in einem Kleid, das aussieht wie ein weich gezeichnetes Mohnfeld. Später schwingt sie den überweiten roten Rock um Obonya wie ein Torrero sein Tuch. Beeindruckend, wie diese Schauspielerin ihrem kurzen Auftritt den eigenen Stempel aufdrückt und Charakter zeigt, von selbstbewusst frech bis trostlos verzweifelt.

Weitere Ingredienzien dieser wunderbaren Neuinszenierung: Musik, die illustriert, ohne platt zu wirken. Riesige Masken, die wie beim Kasperletheater auf viel zu kleinen Darstellerkörpern sitzen. Mammon ist eine fette Glatzkopfpuppe. Kostüme, in denen die 20er Jahre ebenso präsent sind wie der englische Bowler-Hat oder die venezianische Harlekinade. Einfache, spielerische Bilder: Gott der Herr ist ein Kind, das aus einer riesigen Flüstertüte spricht. Ein paar Bäume kommen vorbei. Der überlange Tod – Peter Lohmeyer glatzköpfig und ganz in kalkweiß gewandet –, trägt langsam ein totes Kind über die ganze Bühnenbreite. Die schönste Szene: Sarah Viktoria Frick als „Werke“ ist eine kleinwüchsige, unterernährte Mini-Gliederpuppe mit viel zu großem Kopf, die den sich neben ihr zusammen kauernden, wimmernden Jedermann doch zu trösten vermag. Es gibt sogar einen richtigen Toten-Tanz!

Die Ironiezeichen, die Christian Stückl setzte, sind allesamt verschwunden, der Charakter des bäuerlichen Volksstücks auch; dieser „Jedermann“ hat ein zeitgemäßes Theatergewand erhalten, seine Bildhaftigkeit fußt in englischen Traditionen und nimmt Anleihen von der Tradition bis zum Comic. Doch natürlich ist der „Jedermann“ in Salzburg mehr als ein Theaterstück mit frommer Botschaft. Er ist eine Institution, ein Ritual für die Festspielbesucher, und eine Bank für die Festspiele selbst, die mit dieser neuen Inszenierung wieder sicher jede globale Krise überstehen. Too big to fail, das gilt trotz des immer schnelleren Verschleißes von Führungspersonal, gerade in diesem Jahr, ganz sicher für den „Jedermann“.