Text:Marieluise Jeitschko, am 16. Dezember 2013
Vergeblich hofft die Hospitantin ohne Namen (Kristina Peters) auf einen „erhellenden Moment der Gemeinsamkeit“. Erst ließ sich das Publikum während des Prologs nicht auf das gemeinsame Atmen ein, dann machte die resolute „Assistenz“ Dora (Minna Wündrich) von Herrn Obermann alles kaputt, was werden wollte. Wie ein drakonischer Zuchtmeister ritt sie die Bewerber für eine Rolle in der neuen Inszenierung des Starregisseurs zu, bis sich der arbeitslose, etwas verklemmte Performer Martin Neumann (Matthias Kelle) als „der kleine Mann“ – Jedermann also – sogar nackig machte und auf ein paar Takte „Sacre du printemps“ tanzte, als prügele ihm eine unsichtbare Rute die Seele aus dem schmächtigen Leib. Da gibt der beleibte Routinier Hermann Schwinder (Günter Alt) als Dionysos, Kanzler-Kohl-Imitator, Grabbe- und Nietzsche-Experte schon eine ganz anders imposante Figur ab. Und, keine Frage, die Entdeckung aus der Fußgängerzone, Sophie Sikora (Therese Dörr), ist die ideale Besetzung für die Schönheit. Ein Naturtalent: von Heidi Klum bis zur Ballerina im schwarzen Tutu und mit schwarzen Spitzenschuhen hat sie alles drauf – natürlich auch die erste Liebe, obwohl ihr das erst mal alles ein bisschen zu heftig kommt, wie der übernervöse Neumann sich an sie ranschmeißt. Dabei muss er gar nicht mal „der Auserwählte“ werden (aha – daher Strawinsky). Obermann, das „Phantom“ seiner Jugend, nur einmal zu sehen, damit er ein Bild von ihm hätte und den Verehrten ganz legitim zum „Idol“ erheben könnte – das wäre schon der Himmel auf Erden für Neumann. Da könnte der Tod sich noch mal vom Acker machen. Der geistert immer wieder vorbei. Dazu Verdis „Dies irae“, später droht auch Mozarts Requiem.
Ein veritables Chaos der Theatergeschichte versammelt sich da auf der Probebühne beim Warten auf Go… – pardon: Obermann. Calderóns „Großes Welttheater“ wird mal eben zum „Kleinen Bochumer Welttheater“, das ganze Leben von Hofmannsthals „Jedermann“ gibt Neumann, der immer alles gibt. Am Ende wird Schwinder zu Obermann ins Off gebeten. Der bedeutet ihm aber nur, er dürfe zur nächsten Probe wiederkommen. Die Rolle werde erst viel später vergeben. Alle anderen haben sich schon davon gemacht. Nur ein kleines Mädchen, ein Eis am Stil schleckend, will noch bleiben, bis die Zuschauer klatschen.
Es scheint, hier suchen sechs Personen einen Autor. Denn was in der Spielzeitvorschau des Schauspielhauses Bochum über dieses neue Auftragswerk von Erfolgsautor Martin Heckmanns steht, kommt nicht auf die Bühne. Von der Zirkusgeschichte ist so gut wie nichts übriggeblieben – außer ein paar hastig an- und ausgezogene Kostümchen und die Überschrift zum 2. Akt „Circus Vanitas“. Hausherr Anselm Weber entschied sich dafür, Heckmanns neues Opus mit den Schauspielern erst zu „erarbeiten“. Das sollte man einem absolut sprachlich orientierten Autor wie Martin Heckmanns ersparen. Die köstlichen Rhythmen und verschmitzt witzigen, ironischen, sarkastischen und immer intelligenten Wortspiele gehen unter in Doras lautstarker, rücksichtsloser Betriebsamkeit. Die Desillusion der praktischen Entstehung einer Inszenierung bis zur Bühnenreife will kein Premierenbesucher erleben, sondern die knisternde Spannung einer Uraufführung.
Angesichts des Titels hätten wir Verdacht schöpfen müssen. Zumal wissend, wer inszeniert und solche „Entstehungsprozesse“ allzu gern zelebriert. Zum Trost schickte man uns wenigstens mit einem Programmheft heim, in dem Heckmanns Text mit all den typischen Sprachfinessen des 42-Jährigen vom Niederrhein abgedruckt ist. Schriebe er ihn nun zur versprochenen Zirkusgeschichte um, dann könnte es tatsächlich noch ein echter Heckmanns werden. Die Bochumer Schauspieler übrigens schlugen sich wacker. Ihnen galt wohl in der erster Linie der höfliche Schlussapplaus.
_Weitere Termine: Mi 18.12.2013, So 22.12.2013, Fr 27.12.2013, So 12.01.2014, Sa 18.01.2014, Sa 25.01.2014_