Foto: Expressionistisch aufgebrochen: Benjamin Lewis (Miller) in der Detmolder "Luisa Miller" © Landestheater Detmold / A. T. Schaefer
Text:Andreas Falentin, am 5. April 2019
Verzerrt gezeichnete, düstere Hintergrundprospekte, weiß geschminkte Gesichter, schwarz-weisse Kostüme: In seiner Ausstattung zitiert Lukas Noll die Bildwelten des Expressionismus herbei. Dazu ein großer Tisch in der Mitte, an dem gespeist, auf dem herumgeklettert wird und unter dem mehrfach die Protagonistin hervorkriecht, etliche Stühle und einige Kisten. Besonders diese werden ingeniös genutzt: als Särge, Geheimversteck, Auftrittsorte. Sie bringen eine weitere Bezugsebene ins Spiel, den Vampirfilm, und ermöglichen eine unvergessliche Bilderfindung. Im a capella-Quartett des zweiten Aktes ziehen sich alle vier Sänger jeweils in „ihre“ Kiste zurück, sperren sich in die eigene Welt ein, setzen sich selber absolut. Dazu marschiert der Chor auf, singt aber nicht, sondern kündet stumm von einer Gemeinschaft, die es geben könnte. Letztes wichtiges Ausstattungselement ist eine parallel zur Rampe gespannte Brecht-Gardine. Sie ermöglicht schnelle Bühnenbildwechsel, schafft aber vor allem Intimität für den Schluss, das Sterben des Liebespaares, dass sich auf der Vorbühne ereignet.
All diese optischen Reize und Distanzierungsmittel nutzt der Regisseur Christian von Götz nicht um ihrer selbst Willen, sondern für das Schürfen nach humaner Substanz. Sie gehen uns etwas an, diese sich durch Kunstgesang ausdrückenden Figuren, gehen uns sogar nah. Von Götz hält Tempo und Energie hoch, schaut aber in jedem Moment genau hin. Auch wenn er manchmal vielleicht ein wenig zu viel des Guten tut, das eine oder andere Bild sehr voll erscheint und die als „La Morta“ hinzuerfundene, von Caroline Lusken brillant dargestellte Tänzerin kaum etwas für die Inszenierung leistet als szenische und musikalische Vorgänge zu verdoppeln und intime Momente zu überdecken: Christian von Götzens Personenführung hat über den ganzen Abend etwas Magisches und ist dabei fast manisch genau. Er erzählt nicht in erster Linie eine Geschichte, sondern entwickelt mit einem fantastisch zusammengestellten Ensemble Menschen. Mit Seungwon Lee, dessen perfekt und ungeheuer stimmschön gesungener Graf Walter einerseits klassischer Bass-Bösewicht ist, in seiner Brutalität geradezu „larger than life“. Und doch einen Rest liebender Vater in sich hat, der in wenigen Momenten hervorkriecht und den Typen zum Charakter macht. Mit Benjamin Lewis, der den, anders als in Schillers „Kabale und Liebe“, wovon „Luisa Miller“ bekanntlich abgeleitet ist, eigentlich jämmerlichen Vater aufwertet. Mit differenziertem, schlank und sehnig geführtem, klangschönem Bariton und vielen kleinen Gesten. Am Ende leiden wir mit ihm. Und es gibt Wurm, den Fiesling, den Intriganten, den, der nicht dazu gehört. Verdi hat ihm eine eigene musikalische Miniaturwelt zugewiesen. Immer wieder muss er auf einzelnen Tönen herumkauen oder um diese herumlavieren. Auch diese Figur nimmt Christian von Götz ernst. Wurms Liebe zu Luisa bleibt keine Behauptung, seine Gier nach Zuneigung und Anerkennung ist bei Alexander Vassiliev die Sehnsucht eines Clowns. Der russische Bassist singt das überaus eindrucksvoll, spielt das mit einer bei Opernsängern selten zu erlebenden Wendigkeit – und wird so zum heimlichen Helden der Aufführung.