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Der leere Himmel

Jan Czaplinski, Michael Billenkamp: Die Bartholomäusnacht

Theater:Theater Freiburg, Premiere:25.01.2019 (UA)Vorlage:La Reine MargotAutor(in) der Vorlage:Alexandre Dumas PéreRegie:Ewelina Marciniak

Wenn das kein europäisches Projekt ist! Die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak inszeniert mit einem ausschließlich polnischen Team am Theater Freiburg ein Stück nach Motiven des französischen Autors Alexandre Dumas: Mit „Die Barthomomäusnacht“ knüpft Marciniak an ihre überaus erfolgreiche Umsetzung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ vor einem Jahr an. Intendant Peter Carp und sein Haus setzen auf den preisgekrönten Nachwuchsstar. Mit Recht?
 
Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Im Vergleich zum großartigen „Sommernachtstraum“ fällt „Die Bartholomäusnacht“ ab, obwohl die Voraussetzungen mindestens ebenso gut waren. Die Werkstätten des Drei-Sparten-Hauses haben ganze Arbeit geleistet, um die Vorgaben der Künstlerin und Bühnenbildnerin Anna Krolikiewicz umzusetzen. Drei überdimensionale Vögel auf Rollen aus Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ bevölkern zwischenzeitlich die Bühne im Großen Haus des Theaters. An der Hinterwand erkennt man das Setting aus Fra Angelicos berühmtem Gemälde „Die Verkündigung“ – ohne die handelnden Figuren. Der Himmel ist leer, soll das wohl heißen – wozu John Lennons Song „Imagine“, man kann wohl sagen: die Hymne des Abends, bestens passt. Klar doch: Es geht um den Kampf zweier Religionen, der im Paris des 16. Jahrhunderts in ein beispielloses Gemetzel mündete – und der Text von Jan Czaplinski scheut sich nicht, die Protestanten unserer Tage zu nennen; die Juden, die Muslime und die SPD-Jugend von Utoya. Dieser etwas platten Aktualisierung hätte es gar nicht bedurft. Das historische Drama um Macht, Kalkül, Intrigen und Mord bietet von sich aus genug zeitgeschichtlichen Assoziationsraum. Aber offenbar wollten die Regisseurin und ihr Autor deutlich machen, warum sie ein 450 Jahre zurückliegendes Ereignis für erzählenswert halten – anstatt allein auf die große, suggestive Bildkraft des mit blutroter Lackfolie ausgelegten Bühnenraums zu vertrauen.
 
Das gilt auch und besonders für die Sprache der „Bartholomäusnacht“. König Heinrich II. rotzt  nach seinem ruhmlosen Tod eine „Fick-dich“-Suada heraus, die in dem hochartifiziellen Kontext höchst unangemessen wirkt; so wie der von „Ich scheiß drauf“ triefende Sprachgestus des schwulen Heinrich von Anjou. Die Fallhöhe von eiskalter Herrschsucht (Katharina von Medici,  Heinrich de Guise) zu infantiler Aufsässigkeit wie auch mädchenhaft naiver Romantik (Margarete von Valois) ist mitunter zu groß; auch die Brüche zwischen dem von Konrad Parols wahrlich prächtigen Kostümen geschaffenem historischem Rahmen und Kalauern aus der Jetztzeit – Heinrich von Navarra kommt mit dem Flieger nach Paris und muss durch eine Gesinnungsschleuse – sind nicht wirklich motiviert.

Trotzdem gelingen der Regie immer wieder eindrucksvolle Momente: Sie haben vor allem mit Rosa Thormeyer zu tun. Ihre Margarete von Valois nimmt für sich ein durch die Glaubwürdigkeit ihrer Gefühle: Sie ist die ohnmächtige, aber gleichwohl heftig aufbegehrende Schachfigur im Machtspiel ihrer Mutter (Anja Schweitzer), die angeblich Frieden um jeden Preis will: Der Preis ist das Pogrom an den Hugenotten. Thormeyer klopft an die Wände ihres Gefängnisses, vernehmlich, aber ohne Erfolg. Ihr Korsett legt sie nicht ab – im Gegensatz zu Karls (und dann auch Heinrichs) Mätresse Carolina (Angela Falkenhan). Aber sie ist andererseits weit weniger fügsam als ihre Schwester Claudia (Stefanie Mrachacz), die von sich in der dritten Person spricht, weil ein Ich für sie nicht mehr in Frage kommt. In der Figur der Margarete von Valois verdichtet sich Ewelina Marciniaks Frage nach der Schnittstelle zwischen Machtpolitik und Individuum, an der der Körper zur Schau gestellt, verletzt, getötet wird.  Den Anspruch dieser Regisseurin muss man ernst nehmen. Und ihren Willen zur Gestaltung dieses Anspruchs erst recht.