Entsprechend zeitlos gehen Regisseur Daniel Kunze und Ausstatterin Sophie Leypold die Inszenierung an: Der Polizeichor steht stramm, schwarze Uniform mit schusssicherer Weste, schwarze Mütze, Prinz-Eisenherz-Frisur. „Freude schöner Götterfunken“ intonieren sie, bis einer anfängt, Witzchen zu reißen. Vier Schauspieler (Daniel Dietrich, Stefan Herrmann, Ewa Rataj, Anne Weise) treten aus dem Puppen-Chor, und im Chor geht es weiter. Viel wird unisono gesprochen, was auf die Dauer etwas eintönig wird. Aber es geht auch um genau das: Individuen werden der Organisation unterstellt. Regisseur Kunze hat kluge Bilder gefunden für die Etappen einer Institution, deren Auftritt es immer wieder zu hinterfragen gilt. Daniel Dietrich, Stefan Herrmann, Ewa Rataj und Anne Wiese spielen das mit Energie und Konzentration.
Schiller macht den Anfang und kritzelt todkrank mit Magnesia-weißer Hand seine Zeilen in die Luft – das ist mehr Slapstick als Sinnstiftung. Wir lernen Vidocq kennen, den Verbrecher, der selbst zum Kriminalist und ersten Chef der „Sûreté nationale“ wurde. In der Polizeischule sind Befehl und Gehorsam, Denken in „Frontgräben“ gefordert. Die immer entscheidende Frage: „Haben Sie gedient?“ Ist Polizeiarbeit also wie Krieg gegen die eigene Bevölkerung?
Deigner und Kunze stellen indirekt solche Fragen in den Raum, lassen Antworten offen, zeigen Beispiele bis hin zum misslungenen Einsatz bei den Ausschreitungen gegen Asylbewerber 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Markante Negativ-Ausschläge der staatlichen Gewalt sprechen für sich: Ein schüchterner Beamter kann gegen den Blut- und Boden-Gesang der „Brigade Ehrhardt“ nichts ausrichten (sie war für die Niederschlagung der Münchner Räterepublik verantwortlich). Ein Major (der historische war Trapp in Polen) beaufsichtigt mit aufreizender Gelassenheit Massenerschießungen, sein Untergebener wagt vorsichtig die Befehlsverweigerung. „Die Polizei muss oft das Ueble zulaßen, ja begünstigen und zuweilen ausüben, um das Gute zu thun oder das größre Uebel zu entfernen“, hatte Schiller festgestellt. Hier ist dies endgültig pervertiert.
Die gespielte Dümmlichkeit, mit der dann ein Polizeibeamter die Fragen nach seiner Zugehörigkeit zum Ku-Klux-Klan, ein anderer die Nähe zum NSU und rechtem Gedankengut in seiner Abteilung beantworten, stehen vor diesem historischen Streifzug in einem noch trüberen Licht. Das Stück bleibt zwangsläufig arg kursorisch, aber es schält die Erkenntnis heraus: Ahnungslosigkeit und Gruppendynamik sind keine Entschuldigung für einen fehlenden moralischen Kompass.
Das Regieteam hat mit feiner Ironie für Drive in dieser bitteren Geschichtsstunde gesorgt: Die Nahkampfausbildung mündet in ein Tanz-Workout, dazu flimmern witzige Schwarz-Weiß-Grafiken über den Bühnenhintergrund. Mozarts „Dies Irae“ untermalt dagegen düster die Morde an polnischen Juden, angedeutet als Standbild. Auch diese verübten Polizisten. Es braucht sie, aber es gibt viel zu hinterfragen, immer wieder. Das Uraufführungs-Publikum nahm die Diskussionsvorlage mit großem Beifall auf.