Foto: "Die Polizey" mit Ewa Rataj, Daniel Dietrich, Stefan Herrmann und Anne Weise. © Martin Kaufhold
Text:Katharina Erlenwein, am 12. Oktober 2020
Natürlich ist es das Stück zum richtigen Zeitpunkt: Während in Berlin Horst Seehofer dickschädelig eine Studie zu rechtsextremen Tendenzen in der Polizei verweigert, während in den USA Schwarze von weißen Polizeibeamten mit brutaler Gewalt getötet werden und „racial profiling“ auch von deutschen Beamten hinterfragt wird, hat sich Björn SC Deigner den institutionellen langen Arm der Staatsgewalt fürs Theater vorgenommen. Doch hechelnde Aktualisierung ist seine Sache nicht: Das Auftragsstück des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg war schon vor den aktuellen Diskussionen fertig, und das ist in diesem Fall gut so. Denn Deigner beginnt ganz von vorn, bei Schiller und der „Polizey“ von Paris.
Ein paar Entwürfe sind es nur, die Schiller bis 1804 geschrieben hat. Paris, der Großstadt-Moloch, der dem Rest Europas nicht nur den Glanz, sondern auch das Chaos, das Ungeregelte voraushatte, erfindet die Institution der Ordnungshüter im Auftrag der Obrigkeit, rekrutiert aus zwielichtigen Gestalten mit Militärerfahrung. Schiller hinterfragt die Mechanismen der Machtausübung, die unweigerlich auch mit Gewalt einhergeht. Hellsichtig stellt er fest: „Die Bosheit kann sie zum Werkzeug brauchen, der Unschuldige kann durch sie leiden, sie ist oft genötigt, schlimme Werkzeuge zu gebrauchen.“ Korpsgeist und Befehlsgehorsam gehören dazu. Deigner, dessen Stück „Der Reichskanzler von Atlantis“ 2019 beim Heidelberger Stückemarkt vertreten war (unsere Kritik zur Bamberger Uraufführung: hier), hat für seine Fortführung dieses Gedankens weiter in der Geschichte gewühlt, bis ins Heute.
Entsprechend zeitlos gehen Regisseur Daniel Kunze und Ausstatterin Sophie Leypold die Inszenierung an: Der Polizeichor steht stramm, schwarze Uniform mit schusssicherer Weste, schwarze Mütze, Prinz-Eisenherz-Frisur. „Freude schöner Götterfunken“ intonieren sie, bis einer anfängt, Witzchen zu reißen. Vier Schauspieler (Daniel Dietrich, Stefan Herrmann, Ewa Rataj, Anne Weise) treten aus dem Puppen-Chor, und im Chor geht es weiter. Viel wird unisono gesprochen, was auf die Dauer etwas eintönig wird. Aber es geht auch um genau das: Individuen werden der Organisation unterstellt. Regisseur Kunze hat kluge Bilder gefunden für die Etappen einer Institution, deren Auftritt es immer wieder zu hinterfragen gilt. Daniel Dietrich, Stefan Herrmann, Ewa Rataj und Anne Wiese spielen das mit Energie und Konzentration.
Schiller macht den Anfang und kritzelt todkrank mit Magnesia-weißer Hand seine Zeilen in die Luft – das ist mehr Slapstick als Sinnstiftung. Wir lernen Vidocq kennen, den Verbrecher, der selbst zum Kriminalist und ersten Chef der „Sûreté nationale“ wurde. In der Polizeischule sind Befehl und Gehorsam, Denken in „Frontgräben“ gefordert. Die immer entscheidende Frage: „Haben Sie gedient?“ Ist Polizeiarbeit also wie Krieg gegen die eigene Bevölkerung?
Deigner und Kunze stellen indirekt solche Fragen in den Raum, lassen Antworten offen, zeigen Beispiele bis hin zum misslungenen Einsatz bei den Ausschreitungen gegen Asylbewerber 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Markante Negativ-Ausschläge der staatlichen Gewalt sprechen für sich: Ein schüchterner Beamter kann gegen den Blut- und Boden-Gesang der „Brigade Ehrhardt“ nichts ausrichten (sie war für die Niederschlagung der Münchner Räterepublik verantwortlich). Ein Major (der historische war Trapp in Polen) beaufsichtigt mit aufreizender Gelassenheit Massenerschießungen, sein Untergebener wagt vorsichtig die Befehlsverweigerung. „Die Polizei muss oft das Ueble zulaßen, ja begünstigen und zuweilen ausüben, um das Gute zu thun oder das größre Uebel zu entfernen“, hatte Schiller festgestellt. Hier ist dies endgültig pervertiert.
Die gespielte Dümmlichkeit, mit der dann ein Polizeibeamter die Fragen nach seiner Zugehörigkeit zum Ku-Klux-Klan, ein anderer die Nähe zum NSU und rechtem Gedankengut in seiner Abteilung beantworten, stehen vor diesem historischen Streifzug in einem noch trüberen Licht. Das Stück bleibt zwangsläufig arg kursorisch, aber es schält die Erkenntnis heraus: Ahnungslosigkeit und Gruppendynamik sind keine Entschuldigung für einen fehlenden moralischen Kompass.
Das Regieteam hat mit feiner Ironie für Drive in dieser bitteren Geschichtsstunde gesorgt: Die Nahkampfausbildung mündet in ein Tanz-Workout, dazu flimmern witzige Schwarz-Weiß-Grafiken über den Bühnenhintergrund. Mozarts „Dies Irae“ untermalt dagegen düster die Morde an polnischen Juden, angedeutet als Standbild. Auch diese verübten Polizisten. Es braucht sie, aber es gibt viel zu hinterfragen, immer wieder. Das Uraufführungs-Publikum nahm die Diskussionsvorlage mit großem Beifall auf.