Foto: Bernhard Schnepf und Udo Schneider in "Achtsam morden" an der Uckermärkischen Bühne Schwedt © Udo Krause
Text:Gunnar Decker, am 10. Juli 2022
Eigentlich sei er kein gewalttätiger Mensch, sagt der Anwalt Björn Diemel, der gerade eher wie ein amoklaufender Fleischermeister dasteht, mit blutverschmierter Schürze und Motorsäge in der Hand. Ist dies ein Splattermovie? Das auch – aber vor allem ein Blick in deutsche Mittelstandbürgerseelen. Was wir dort sehen: Latente Panik.
Auch darum dreht wohl Karsten Dusses Kriminalkomödienbestseller „Achtsam morden“ gerade so erfolgreich seine Zweitverwertungsrunde über die deutschen Bühnen. Etwas fängt harmlos an und endet mörderisch. Entscheidend: Auch das birgt Chancen.
Regisseur Jörg Steinberg forciert an der Uckermärkischen Bühne Schwedt das paradoxe Spiel um Identitäten. Die Bühne von Stephanie Dorn dient dabei als Schachbrett. Vier Schauspieler in neunzehn Rollen spielen darauf in gut zwei Stunden gegeneinander. Am Ende bleibt von dem, was sie mal waren, nichts übrig. Der einzige, der an diesem Abend nur eine Rolle spielt, ist der großartige Bernhard Schnepf als Anwalt Björn Diemel. In seinem Blick flackert anfangs jene Unruhe, die zeigt, dass er noch längst nicht bei sich angekommen ist. Aber das gibt sich im Fortgang des Stücks in dem Maße, wie er an Macht gewinnt.
Eintauchen in Träume
Bernhard Schnepfs Transformation beginnt, als seine Frau ihn zum „Achtsamkeitstrainer“ Joschka Breitner schickt (Udo Schneider als herrlich-mysteriöse Mischung aus Zeitgeistguru und Kleinkriminellem), Autor des Buches „Entschleunigt auf der Überholspur“. Seine Botschaft: Sei Du selbst ohne Rücksicht auf Andere! Achtsam kann man in dieser kapitalistischen Welt ohnehin nur gegen sich selbst sein. Seine Frau sieht die neue Energie ihres aus der Alltagsroutine gefallen Mannes mit sichtlichem Erstaunen. Adele Schlichter spielt virtuos gleich sieben Rollen – multipler geht es kaum.
Die Regie setzt auf Identifikation der Zuschauer mit dem makabren Geschehen. Da lässt Achtsamkeitstrainer Breitner das Publikum schon mal aufstehen zum gemeinsamen richtigen Atmen. Nun gut, solcherart Übertritte in den Zuschauerraum muss man nicht mögen, aber auch das hat hier immerhin etwas rettend Absurdes – im Stile von Buddhismus für Diktatoren.
Das Zerbrechen einer abgelebten Identität eröffnet Möglichkeiten. Auch die einer Karriere als Gangsterboss, die eigenen Gesetzen folgt. Ein hochtouriges Kammerspiel mit klischeeartigen Boulevardelementen, über die man nur mit viel Tempo hinwegkommt, mitsamt Schauspieldirektor Tilo Esche persönlich als Mafiaboss-Assistent Sascha. Er ist gleichsam der Gegenentwurf zu Anwalt Schnepf. Denn Sascha träumt statt von einem profitablen Edelbordell von einem Kindergarten, den er leitet. So absurd geht es zu, wenn man an die geheimsten Wünsche rührt. Das ist mehr als bloße Unterhaltung, das spielt mit den Archetypen in uns.