Foto: Detlev Glanerts Oper "Joseph Süß" in Zwickau © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
Text:Joachim Lange, am 7. November 2013
An großen oder mittleren Opernhäusern ist die Aufführung einer Oper von Detlev Glanert (53) kaum mit einem Risiko verbunden. Das Publikum, das mit der Musik dieses zeitgenössischen Tonsetzers das erste Mal Bekanntschaft schließt, ist allenfalls überrascht, wie lebendig, emotional, dicht und bühnenwirksam auch heutzutage komponiert werden kann. Im Falle von der in Halle uraufgeführten Oper „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ obendrein davon, wie komisch auch eine neue komische Oper tatsächlich sein kann.
Für ein kleines Zweistädte-Haus, wie das in Zwickau-Plauen, ist es auf jeden Fall eine ambitionierte Herausforderung für das Orchester, das Ensemble und für das Publikum. In Zwickau wurde jetzt die Neuinszenierung von Glanerts 1999 in Bremen uraufgeführter (und seither schon ein halbes Dutzend Mal nachgespielter) Oper „Joseph Süß“ zu einem überzeugenden Plädoyer für die Leistungsfähigkeit auch kleinerer Stadttheater, für die Lebendigkeit des Genres und für die Aufgeschlossenheit des Publikums. Wie das Ganze ankommt, zeigt sich in der zweiten Vorstellung vielleicht sogar noch besser, als bei der Premiere. In Zwickau blieb es unter dem Eindruck der anderthalb pausenlosen Stunden für etliche Atemzüge erst mal muksmäuschenstill, bevor ein langer Beifall einsetzte.
Am Ende ist der Jude schuld. Die lutherischen und katholischen Dummköpfe im Herzogtum Württemberg haben es schon immer gewusst. Und zwar faktenunabhängig. Karl Alexander ist ein besonderer Hurenbock und Verschwender von einem Herzog. Er benutzt den Juden zum Auspressen seiner Untertanen. Ködert ihn mit dem Titel Finanzrat. Hält ihm die Erhebung in den Adelsstand vor die Nase. Als katholischer Landesherr will er obendrein die Bekehrung seiner Landstände und Untertanen zum Katholizismus erzwingen. Die katholischen Truppen aber, die ihm sein Minister Weißensee (Markus Ahme) versprochen hatte, kommen nicht. Ihre Ankündigung war nur Teil der Intrige, die den Juden Joseph Süß an den Galgen bringen soll. Er ist ja per Definition schuld. Auch an der geplatzten Konvertierung eines ganzen Landes.
Als den Herzog, der allein Josephs Stellung in der Gesellschaft garantierte, der Schlag trifft und ihn brabbelnd als Marionette Weißensees in den Rollstuhl verbannt, ändert sich das im Handumdrehen. Süß wird der Prozeß gemacht. Er wird angeklagt wegen allem, was sich finden lässt – von Münzfälschung über Onanie bis Hochverrat. Und verurteilt und gehängt. Nicht wie der reale jüdische Finanzrat Joseph Süß Oppenheimer, der 1738 Opfer eines beispiellosen Justizskandals wurde, auf den die Nazis mit Veit Harlans Hetzfilm „Jud Süß“ noch eins drauf setzten, im Käfig in großer Höhe, sondern in der Tiefe der Versenkung. Dass man da nur den Strick und nicht den Delinquenten zappeln sieht, passt in die ausgesprochen stimmige Inszenierung von Thilo Reinhardt.
Dem Regisseur gelingt das Kunststück, mit einer geschlossenen historischen Ästhetik zu überraschen und dennoch jene Massendynamik der Ausgrenzung zu zeigen, für die der Antisemitismus nur eines der perfidesten Beispiele ist. Die aktuellen Bezüge mitschwingen zu lassen, ohne sie dem Publikum vorzubuchstabieren – allein das ist eine bemerkenswerte Leistung. Wobei man ja gerade in Zwickau für die Gefahren, die der Freiheit und Mit-Menschlichkeit aus dumpfen Vorurteilen erwachsen, nach dem Unwesen, das die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ von hier aus trieben, besonders sensibilisiert ist. Am Ende hält den Henker (Tilman Rau) dem Publikum den Rock des gerade Gehenkten hin, als suchte er einen Nachfolger….. Doch der Fürst, sein Hofstaat und die Juden kommen bei der Ausstattung (Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Luisa Lange) so daher, wie es im Barock Mode war. Der hervorragend von Friedemann Schulz einstudierte Opernchor ist dabei nicht nur vokal auf der Höhe, sondern auch darstellerisch!
In den sieben Kerkerszenen, in denen es wie tropfendes Wasser und ins Schloss fallende Türen unheimlich aus dem Graben klingt, erinnert sich Joseph Süß (höchst präsent: Shin Taniguchi) in sechs Episoden an seinen Aufstieg und Fall. Für die Szenenwechsel reichen sparsame Versatzstücke zur Andeutung von Herzogschloss und dem Süßschen Stadt- sowie dem Waldhaus, in dem er seine Tochter Naemi (Nathalie Senf) so erfolglos wie Rigoletto vor den Übergriffen seines Landesherren zu verstecken versucht.
Dank des klugen verdichtenden Librettos von Werner Fritsch und Uta Ackermann und der emotional aufgeladenen und spannend in der Diktion wechselnden Musik Glanerts gelingt es ebenso überzeugend den Herzog (Tobias Pfülb beglaubigt ihn als schlimmen Barockfürsten stimmlich und habituell!) bloßzustellen, die Verlogenheit der Schranzen aufzuzeigen und auch die illusorische Selbstüberhebung von Joseph Süß zu charakterisieren, der alle Warnungen des Rabbiners (Hinrich Horn) in den Wind schlägt. Eine Pointe ganz eigener Art ist, dass der Bau einer Oper Teil der Verschwendungssucht des Herzogs ist. Thilo Reinhardt enthält uns aber auch Glanerts Lust an der Parodie, wie bei den Auftritten der singenden Herzogsmätresse Garziella (Chrissa Mailiamani) als italienischer Opernsängerin, nicht vor. Wodurch in der klug gebauten Szenenfolge die Balance zum tragischen Schicksal von Süß‘ am Ende hochschwangeren Braut Magdalena (Sarah Tuleweit) gewahrt wird. Für die musikalische Überzeugungskraft sorgen nicht zuletzt GMD Lutz de Veer und das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau mit bemerkenswerter Souveränität.
Fazit: Eine musikalisch und szenisch durchweg überzeugende Neuproduktion belegt, dass es „Joseph Süß“ ins Repertoire geschafft hat. Auch in Zwickau und Plauen. Und das ist gut so.
Nächste Vorstellungen: 20. November sowie am 8. Dezember 2013 sowie am 21. März und 20. Juni 2014.