Text:Michael Laages, am 27. April 2011
Den letzten Geldschein muss er noch verbrennen, dann ist sein Fall für diesmal abgetan – „Jedermann“ hat demonstrativ Abschied genommen von dem, was ihm am allerliebsten war; lieber jedenfalls als die schöne dunkle, unerhört vorzeigbare Buhlschaft an der Seite, und lieber auch noch als die junge Blonde, die kurz vor Ultimo für alle „guten Werke“ steht, die in der Bilanz von Herrn Jedermann auf der Haben-Seite stehen. Der „Glaube“ ist daneben ein Jüngling und taugt nur für platonisches Begehren … so defilieren sie an ihm vorbei, die allegorischen Figuren aus Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel in klappernden Reimen, das allsommerlich in schweißtreibender Breite vor dem Portal des Salzburger Doms zelebriert wird.
Dort ist bekanntlich immer alles hell – in Leipzig ist fast alles dunkel. Dunkel wie die Geschichte von der vertanen Zeit, die das Leben im Erfolg ist angesichts der letzten Rechnung, die der Tod mit uns (mit „Jedermann“ eben) abmacht. Klar: auch mit „Jederfrau“ – Jürgen Kruse Phantasie über den Holzschnitt-Text lässt jedem Wortspiel freien Lauf, wie immer. Überhaupt ist vieles wie immer: der edle Soundtrack, die absichtsvoll beiläufige Figurenzeichnung, die Lust an den Zwischenwelten, an Trash und Travestie – aber überraschend ist sehr bald nach Beginn der Aufführung die enge Verbindung, die Hofmannsthals Vers-Geknittel mit Kruses notorisch überdrehter Sprachbehandlung eingeht, in der Bedeutung und Betonung gern zwischen den großen Sinn-Begriffen verortet wird. Hofmannsthals knarzend-knirschend-altbayerische Vers-Füße fassen kriegen gerade in Kruses Sprache erstaunlich viel Boden unter die Hufe: als eine Art Gothic-Comic in altdeutscher Schrift.
Und so trabt dieser „Jedermann“, mit viel Budenzauber, viel Brimborium und mit dem ziemlich aufregenden Manuel Harder in der Titelpartie, kernig und zügig voran. Der Himmel und auch die Hölle, tiefrot hoch über der Bühne angesiedelt und mit einer schmucken Teufelin drin, können beide noch ein wenig warten. Schön wär’s, wenn der Jubel aus der Premiere sich im Alltag fortsetzen würde. Und noch viel schöner wär’s, nachgerade genial, wenn in einem Anfall von Mut die Salzburger Festspiele diesen „Jedermann“ einladen würden – als Gegengift.