Foto: Edward selbdritt © Aus dem Stream
Text:Michael Laages, am 19. Februar 2021
Jetzt sind sie also ganz und gar angekommen im Hotel der Macht. Die Nobel-Unterkunft, mit prächtigen Tapeten an den Wänden der Suiten und einem grandios runden Treppenhaus, wird nun, im zweiten Teil der Familien- und Königshaus-Saga aus Köln, durchgängig zum Spielort dieser Schlacht in vielen Zimmern. (Hier der Link auf die Kritik zu Teil 1.). Gaveston, der Geliebte des jungen Königs, der gerade gekrönt worden ist mit einer Mischung aus Sonnenkranz und Dornenkrone, hat die triste Hochhaussiedlung endgültig verlassen (das französische Exil im Original von Christopher Marlowe anno 1592), er ist auch nicht mehr Hilfsarbeiter auf der Baustelle. Jetzt darf er ganz und gar des Königs Günstling sein, vor allem im Bett; auch wenn der Rest der feinen Hofgesellschaft ihn noch immer zutiefst verachtet. Herrschaft und Knecht damals, Klassenhass heute – und obendrein ist der Junge ja auch noch homosexuell, wie der König. Was für den Herrscher durchaus nicht zum Problem werden müsste, wenn er nur seinesgleichen liebte.Will und tut er aber nicht.
Tatsächlich allerdings verschiebt sich im zweiten Teil der Web-Serie mit dem Team um Regisseurin Pinar Karabulut auch deutlich der Fokus der Serie – Königin Isabella rückt ins Zentrum, die eingeheiratete Französin, die sich in England zur betrogenen, ungeliebten und allseits verachteten Nicht-Königin wandelt. Sie sieht allerdings noch einen anderen Grund für das eigene elende Scheitern: die Zeit, sagt sie, sei noch nicht reif für eine Frau an der Macht. Das aber muss sie werden, weil der Gemahl zwar ein (ziemlich ungezogenes Kind) gezeugt hat aus purem dynastischen Pflichtgefühl, ansonsten aber kaum mehr raus kommt aus Gavestons Bett und Umarmung. Auch darum beginnt die verzweifelte Chefin bei Hofe nun zu kämpfen, jenseits der Liebe, die der Herrscher ihr weder geben kann noch will.
Teil zwei der unbedingt Medien- und Trash-tauglichen Serie aus Köln, mit zwanzig Minuten etwas kürzer als der erste, hat schrille, scharfe Sequenzen: etwa die missratene Weihnachtsfeier bei Königs zu Hause. Der Sohn trägt Mädchenkleider und beschwert sich kreischend über falsche Geschenke; Mama reißt den Baum um, Papa weiß nicht ein noch aus… Und in der Einführung des „Was bisher geschah“ zu Beginn docken Palmetshofer und Regisseurin Karabulut deftig an in zeitgenössischem Müll-Sprech: mit ganz viel „bitches“ und auch sonst dem „heißesten Scheiß“. Kent, eine eher mürbe Strippenzieher-Figur, darf sogar für einen Augenblick zu Ernst August werden, dem Prügel-Prinzen aus dem Hause Hannover.
Palmetshofer hat schon öfter drastisch auf Gegenwart gesetzt – zum Glück dabei aber nie das originale Spielmaterial aus den Augen verloren. Hier unternehmen der Autor, Karabulut und das sehr animierte Ensemble gelegentliche Ausflüge ins Englische, und zugespitzte, angeschärfte Reim-Sequenzen verpassen dem Spiel für die Kameras den nötigen Drive. So kommt hier kaum jemals die Sehnsucht auf nach ein bisschen mehr vom ohnehin verstörenden Original. Die Geschichte dieser von der Gesellschaft verfluchten, letztlich alle Macht zerstörenden Männerliebe wurde viel zu selten zur Hausforderung für das Theater in neuerer Zeit: bei Francois-Michel Pesenti vor Urzeiten in Bremen (wo der Hof, wenn die Erinnerung nicht täuscht, ein Stall voll von ständig sich entleerenden Hühnern war!), bei Wolfgang Engel einst am Deutschen Theater in Berlin, bei Martin Kusej am Thalia Theater in Hamburg. Dass Pinar Karabulut aus pandemischer Not ausgerechnet auf diesen Stoff verfiel und ihn nun zur Serie aufmöbelt, lohnt die Mühe unbedingt. Und demnächst folgt dann auch schon der dritte Streich.