Foto: Marc Cloot, Neel Jansen (K.) und Liuba Avvakumova in „Das Schloss“ am Gärtnerplatztheater München. © Lioba Schöneck
Text:Vesna Mlakar, am 6. Juni 2011
Kafkas Werke sind bekanntlich skurril. Sein Romanfragment „Das Schloss“ aus dem Jahr 1922 macht da keine Ausnahme. Obwohl hochgradig irritierend, vermag die wenig aktionistische, mystisch aufgeladene Handlung in ihrer nüchternen Erzählweise diverse Assoziationen zu schüren und den Leser in einen abgründigen Bann zu ziehen. So mag es auch Hans Henning Paar ergangen sein, der immer wieder düstere Stoffe aufgreift, die thematisch um das Schicksal Einzelner und deren Verwicklung ins sozialgesellschaftliche Gefüge kreisen.
Dank einiger Neuzugänge stand dem Choreografen bei der Premiere seiner Tanzadaption am 26. Mai im Staatstheater am Gärtnerplatz ein technisch wie ausdrucksmäßig höchst engagiertes Ensemble zur Seite. Allen voran Neel Jansen in der Rolle des K und Caroline Fabre als Frieda. Nachdem der Beamte Klamm (Krzysztof Zawadzki) – ein agiler Gegenspieler K’s – die ihm Zugehörige eher rüde zum Liebesakt zwingt, findet der 75-minütige Ballettabend einen berückenden Höhepunkt im Duett des sich unter einer tief schwingenden Lampe zärtlich-verspielt näherkommenden Paares. Dass die Annäherung für K nur Mittel zum Zweck ist, geht im – an sich schön gearbeiteten – Fluss von mal mehr (das „gleichgeschaltete“ Klassenzimmer), mal weniger gelungenen Nummern (langweilig zwischen senkrecht aufgehängten Neonleuchten dahinschreitende Männer in schwarzen Anzügen – eine Anleihe aus Endes Momo?) leider unter. Auch hätte man sich in der historisierend-realistischen Ausstattung von Christl Wein aus massiven Papierstapeln und mobilen Leitern, in die sich ein bedrohliches Corps von personifizierten Aktenordnern perfekt hineinfügt, kafkaeske Verstörung noch stärker visuell durch charakterlich einprägsamere Bewegungseinfälle denn durch monotones Rezitieren eines ellenlangen Paragrafen oder Goethes Gretchen am Spinnrad gewünscht.
Viele hübsche Zutaten, so die ins clowneske tendierende Idee des sich im Stückverlauf entzweienden Gehilfen-Zwillings (Hsin-I Huang, Erik Constantin), können über einen fehlenden Gesamtzusammenhalt nicht hinwegtäuschen. Schlüssig dagegen spiegelt sich die menschliche Beklemmung und Ausweglosigkeit in (alp-)traumhafter Atmosphäre unter der Leitung von Liviu Petcu in den orchestralen Kompositionen von Penderecki, Górecki, Schnittke und Schostakowitsch wieder.