Foto: Szene mit Gerhard Mohr, Maria Hartmann, Katarina Schmidt und Mathias Renneisen © Helmut Seuffert
Text:Hans-Jürgen Linke, am 14. April 2023
Die Familie ist ein Garten: ein Baum im Zentrum, ein Schuppen am Rand, ein Tisch mit Stühlen drumherum und vier repräsentative weiße Stammrosen, die so aussehen, wie Hobbygärtner sich das wünschen. Der Hobbygärtner ist Bob (Gerhard Mohr) die vier Rosen seine Kinder Rosie (Katharina Schmidt), Pip (Jantje Billker), Mark (Tilmar Kuhn) und Ben (Matthias Renneisen). Der Baum aber, vermutlich ein Eukalyptus (könnte allerdings auch ein Olivenbaum sein), das ist Fran (Marie Hartmann), die dominante Mutter.
Die Lebensträume der Kinder
Es geht also ums Familienglück, und da Andrew Bovell unter anderem von Henrik Ibsen und Woody Allen gelernt hat, balanciert die Grundstimmung zwischen Tragik und Komödie. Jeder träumt seinen Lebenstraum und lebt etwas, worin dieser Traum scheitert. Der beherrschende Lebenstraum ist der des Elternpaares. Er handelt von einer prächtig gedeihenden, moralisch und wirtschaftlich tadellosen Familie, symmetrisch komponiert aus Mutter, Vater, zwei Töchtern und zwei Söhnen. Die Handlung besteht im Wesentlichen darin, dass die vier Kinder, die keine Kinder mehr sind, nacheinander Entscheidungen treffen, die eigene Lebensträume andeuten und dabei mit allseitig erfahrenem Schmerz ihren jeweiligen Konsens mit den Eltern kündigen. Im Text taucht dieses Motiv mehrfach unter dem Titel „erwachsen werden“ auf. Ja, so ist das Leben.
Und manchmal auch das Theater. Andrew Bovells „Dinge, die ich sicher weiß“ ist ein intelligent und sehr ökonomisch gebautes Stück, mit feinen retardierenden Momenten und mittelgroßen Sprüngen, denen man gern folgt und in denen eine omnipräsente Melancholie waltet. Das Leben ist nun mal kein Garten, den man im Rhythmus der Jahreszeiten in Ordnung hält und das Unkraut jätet. Nein, das ganze Leben ist ein chaotisch wucherndes Unkrautgebilde, gegen das letztlich kein Kraut gewachsen ist. Und der Kampf gegen das Unkraut ist, wenn die Metapher erlaubt ist, auch eine schöne Aufgabe für das Theater.
Abschiedsproduktion des Fritz-Rémond-Theaters
Der sich Claus Helmer, seit Menschengedenken Direktor des privaten Frankfurter Fritz-Rémond-Theaters im Zoo, seit je widmet. Bovells Stück ist die letzte Produktion in diesem Haus. Es ist ein Theater, das das Genre der ansonsten eher etwas leichter gewichteten Unterhaltsamkeit pflegt und zu seinem Publikum über die Jahrzehnte eine intensive Bindung geknüpft hat.
Anatol Preisslers stilsichere, überaus präzise Inszenierung war würdiger Schlusspunkt einer langen Geschichte. Das Ensemble diente dem Text mit pointiertem, ausdrucksreichem und zugleich zurückhaltendem Spiel. Jede Person bot sich zur Identifikation und zum Mitfühlen an – keine grellen Farben, kein wohlfeiles Karikieren, stattdessen psychologisch grundierter Realismus. Nicht einmal die Klarstellung der scheinhaften, lebenspraktischen Dominanz von Mutter Fran bekommt lächerliche Züge. Der angespannt und gemeinsam gehaltene dramatische Ernst des Stückes entlässt das Publikum, auf sich selbst verwiesen und um mehrere nachdenkliche Augenblicke bereichert, in eine Zukunft, in der es ohne das Fritz-Rémond-Theater auskommen wird.