Foto: „Der Theatermacher“ am Schauspiel Frankfurt hier mit Sebastian Reiß, Wolfram Koch, Marta Kizyma, Tanja Merlin Graf und Anna Kubin © Thomas Aurin
Text:Michael Laages, am 21. Juni 2021
Es ist ja nicht so, dass die „Methode Fritsch“ automatisch immer funktioniert und überall. Der überaus erfolgreiche Regisseur, Anfang des Jahres unerklärlicherweise schon 70 Jahre alt geworden, entlockt Schauspielerinnen und Schauspieler ein Übermaß an ungebremster Albernheit, entfesselt deren Körperenergien in ungehemmt farcenhaftem Gehampel – mancher und manche mag sich dabei womöglich wie neu erkennen und entdecken; als wären sie in der Clowns- und Kasper-Akademie ausgebildet worden und nicht in den ordentlich organisierten Studiengängen einer Theaterhochschule. Herbert Fritsch ist und bleibt der Magier des alternativen Schauspieler- und Schauspielerinnen-Theaters – im Juli-Heft der „Deutschen Bühne“ wird er erklären, warum er auch diese Strategie weiterhin für eines der wichtigen Überlebensmittel des Theaters hält. Ob die Zauberei nun allerdings stets zu den Texten und Stücken passt, die Fritsch der eigenen Methode unterwirft, ist jedes Mal von neuem zu hinterfragen. König Knalltüte siegt nicht von allein.
Die atemlosen Hass-Litaneien etwa, wie sie „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard ausschüttet über alles, was dem monomanen Sonderling vor die Augen kommt, diese abendfüllenden Menschenvernichtungsmonologe durch einen, der dem Wahn der Kunst verfiel, sind im Grunde ja gar nicht sonderlich komisch. Und weil Fritsch jeden und jede wie Gliederpuppen in der Hand eines verrückt gewordenen Marionettenspielers durch den Gasthof im Provinznest Utzbach karriolen lässt, den ewig grinsenden Wirt, die singende Wirtin und deren stummes Töchterchen, tut sich der Abend eher schwer mit den Kontrasten, mit den Fallhöhen – die Figur des Staatsschauspieler Bruscon, der sich mit der selbstverfertigten historischen Welterklärungskomödie „Das Rad der Geschichte“ in diese kulturelle Wüstenei verirrt hat, zetert unablässig gegen Windmühlenflügel an, die sich unterwürfig drehen im Strom der Künstlerworte. Irgendeine Art von Widerstand – etwa durch konsequentes Schweigen als Waffe – ist nicht zu ahnen in dieser Konstellation.
Eher schon flackert ein wenig Streitgeist in Bruscons Familienensemble: mit der Gattin, die verstohlen anhustet gegen des Meisters Gefasel, der verhärmten Tochter Sarah und Sohn Feruccio mit der gebrochenen Hand – beide drillt und erniedrigt der Theater-Patriarch in virtuos-boshaften Probenritualen. Das ist dann in Bernhard-Manier sehr schrecklich, und natürlich auch schrecklich komisch. In diesem Gefüge rast Wolfram Koch wie ein Brummkreisel, der nichts und niemanden unzerstört lassen kann.
Fritsch und Koch – natürlich ist das ein Traumpaar. Aber nicht nur der Brille wegen wirkt der Schauspieler gelegentlich wie das Double des Regisseurs. Was an sich nicht schlimm ist – immer wieder sehen Fritsch-Inszenierungen ja so aus, als habe er sich selber auch als Hauptdarsteller imaginiert. Ob beide gemeinsam allerdings auch irgendetwas etwas wollen von diesem Ego-Monstrum, diesem Kunst-Kopf Bruscon, jenseits vom Spaßspektakel? Schwer zu sagen.
Voller kleiner meisterlicher Kunststücke steckt derweil die Bühne – wie oft beim Ego-Monstrum und Kunst-Kopf Fritsch, der ja mittlerweile fast immer auch der eigene Bühnenbildner ist. Der Raum sieht aus, als hätte Lyonel Feininger ihn gemalt – und als stürzten Holzplanken aus immer neuen schrägen, spitzen Winkeln in den Raum hinein. Der wird zu Beginn vom Wirtspersonal vollgestellt mit federleichten Stühlen – 200 Plätze soll der Gasthof fassen für die Aufführung. Immer neu werden die Möbel platziert (ein Papierstuhl zum Selberkleben findet sich obendrein im Programmheft), gegen Ende fliegt das Mobiliar gen Bühnenhimmel. Die Wände hängen voller Geweihe, rechts ist die Bühne in der Bühne zu ahnen, mit Bergmassiv im Hintergrund – einmal fliegt ein verirrter Ski-Springer am Berg vorbei. Fritsch selbst vermutlich… und wenn der Wirt die Erlaubnis des Feuerwehr-Hauptmanns übermittelt, am Schluss von Bruscons Stück auch das Notlicht ausschalten zu dürfen, taucht er gleich doppelt auf: in beiden Bühnenbildern.
In der richtigen Bühne klafft übrigens ein Loch – alle stolpern zu Beginn mit einem Bein hinein, nur Bruscon nicht. Ein Virtuose halt – auch in der Klamottenscherzvermeidung. In den Premierenbeifall hinein klettert dann Fritsch selbst aus dem Stolperloch hervor.
Alle lassen sich mitreißen vom Clownspaar Koch und Fritsch – im Gasthof Anna Kubin, Tanja Merlin Graf sowie Sebastian Reiß und Sebastian Kuschmann als Doppel-Wirt; im Tournee-Ensemble Irina Wrona als hustende Gattin, Tochter Marta Kizyma (oder Annie Nowak) und Sohn Fridolin Sandmeyer. Hingebungsvoll spielen sie Clownsnummern mit Tischen, Stühlen und der großen Leiter – und nur selten in diesen zweieinhalb pausenlosen Stunden wächst das Gefühl, ewigem Leerlauf zuzuschauen.
Aber auch der ist ja von Bernhard – und markiert vielleicht noch immer den möglichen Widerstand. Der glückliche Rest nämlich wäre Schweigen. Das weiß Bruscon. Aber ob es dazu kommt? Letztlich gehen nur Gasthof und Theater zu Bruch: in Gewitter, Blitzschlag und Feuersbrunst. Ein bisschen verzweifelt hat auch Frankfurts Schauspiel noch Premieren wie diese ans Spielzeit-Ende gesetzt – und das Publikum, weiterhin nach strengen Regeln reduziert, jubelt voller Überlebensenergie, voller Hoffnung auf den Herbst.