Szene aus "Kängurus am Pool"

Der bedrückende Klang von Rollläden

Theresia Walser: Kängurus am Pool

Theater:ETA Hoffmann Theater Bamberg, Premiere:13.05.2022 (UA)Regie:Sibylle Broll-Pape

Nach dem Besuch dieser Inszenierung wird man das Rasseln von Rollläden vielleicht anders hören. Ihr Auf und Ab, ihr Ritsch und Ratsch, ihr gouillotinierender Tagesende-Fausthieb und ihre entschlussverströmende Morgenhimmelfahrt durchfahren und rhythmisieren Theresia Walsers Stück „Kängurus am Pool“ in der Uraufführungsinszenierung wie Satzzeichen einen Text, sind die Kommata und Semikola. Die Punkte setzt die Drehbühne: Ausstatterin Trixy Royeck hat eine Häuserburg gebaut. Eine Puppenschachtel-Siedlung, die immer wieder andere Blicke auf die Madenhöhlen jener dort herumwuselnden Menschen gestattet, von denen Walser erzählt. Regisseurin Sibylle Broll-Pape, Leiterin des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg, das mit dieser Uraufführung die 38. Bayerischen Theatertage eröffnete, meistert diese erst einmal eher ziellose Erzählung, indem sie ihr diesen notwendigen Schwung verleiht, diese meditativen Drehungen um sich selbst, diese Jalousien-Knallkörper, die zugleich Bände sprechen über die akute Selbstisolierung all dieser Leute auf der Bühne.

Im Stück „Kängurus am Pool“ geht’s um ein gutes halbes Dutzend Menschen aus dem Mittelstand, die alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben fahren lassen müssen und nur noch rhetorisch so tun, als sei alles wie immer. Weshalb es hier auch nicht unbedingt eine nacherzählbare Handlung gibt, sondern eher die Beschau wandelnder Trostlosigkeit, die im Alter nicht besser wird: Der demente Dr. Brunk stapelt unentwegt Bücher, der siechen Mutter Baya fault der Fuß weg. Der Wohnkomplex, den die Leute durchstreifen, ist ersichtlich das Ende einer Sackgasse, die gut und gerne „Anton-Tschechow-Straße“ heißen könnte. Einer hat sich eh schon umgebracht, das Rolleau hat sich also, um im Bild zu bleiben, final geschlossen. Wobei selbst der Tod, zeigt sich in dem herrlich in dieser Ausweglosigkeit herumstreunenden Text, nicht unbedingt das Ende ist. Er ist nur ein unbestimmbarer Teil dieses grenzenlos herummäandernden Auflösungsprozesses einer lebensmüden Gesellschaftsschicht.

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Den Menschen in „Kängurus am Pool“ ist die Sicherheit abhanden gekommen. Sie verzweifeln und verziehen sich in die Dichte ihrer Behausung, starren nachts ins Dunkel und träumen von einem Reichtum, der es einem gestattet, australische Beuteltiere im Garten zu halten. Derlei Verzweiflung aber kann auch äußerst witzig sein. Walsers Text glänzt in jedem einzelnen seiner Sätze, die oft voll hoher Komik sind. Die Autorin vermischt Sprach-Manierismen, kluge Einsichten, verblose Satzbrocken und wirklich treffsichere Aphorismen zu einer sinnlichen Suada, in der zwar nichts wirklich weiter-, aber immerhin sehr beschaulich untergeht.

Um zu funktionieren, bedarf Walsers Text eben genau der von Broll-Pape gesetzten Satzzeichen: Der Abend bietet einen unentwegten, unaufgeregten Flow. Davor saßen zu Beginn schon zwei kommode Kängurus mit Cocktails – auch deren Kommen und Gehen setzen Zeichen. Vielleicht Gedankenstriche. Es sind im übrigen die Schauspielerinnen und Schauspieler, die die Wohn-Kokons des Textes weiter aufknacken, ihnen Witz verleihen, aber immer auch die Trostlosigkeit dieser Lebensheimbewohner zeigen. Im Detail geht’s ins Absurde: Schon die Berufsbezeichnungen zeigen, dass das Bühnenpersonal eigentlich am Bedarf vorbei existiert. Versicherungsmakler. Hospizclownin. Solche Sachen halt …

Marie-Paulina Schendel beispielsweise gönnt ihrer Figur Ada als „freischaffende Unternehmensberaterin“ eine gehörige Portion frustgetriebene Gehässigkeit. Clara Kroneck steckt als suspendierte Lehrerin Sonja voll tiefer, unausgesprochener Trauer. Lieb ist ihr Versuch, so etwas wie eine Beziehung zum Paketboten aufzubauen, der als einziger von draußen kommt und so etwas wie ein eigenes, aber auch ziemlich verpfuschtes Leben hat. Stefan Herrmann gibt ihn voll Optimismus und Pfiffigkeit dessen, der wenigstens noch eine Vision besitzt. Dann – ratschratschratsch – sausen wieder irgendwo Rollläden herunter. Willkommen in der Privatdunkelheit Deutschlands!