Foto: Ensembleszene aus "alieNation" © Ingo Jooß
Text:Manfred Jahnke, am 31. März 2023
Eine Amsel singt. Im bläulich-nebligen Dunkel liegen in einer Reihe, eng aneinander gepresst, vier Körper am Boden vor einer Leinwand, auf der ein kopfüber herabhängender Wald abgebildet ist. Fünf Gebilde hängen wie Stalagmiten aus dem Bühnenboden herab, die teilweise wie geschlachtete Kuhbeine geformt zu sein scheinen (Raum: Eva Baumann und Laura Yoro). Amöbenhaftgleich schieben sich Aurora Bonetti, Marie Hanna Klemm, Kathrin Knöpfle und Bar Gonen langsam über den Bühnenboden. In „alieNation oder: Strangers in a world that they themselves have made“, zu sehen im Stuttgarter FITZ!, erzählt die Choreografin Eva Baumann von der Entfremdung des Menschen in der Geschichte: Am Anfang ist die Gemeinschaft von Wesen, die körperliche Nähe suchen und kaum voneinander zu unterscheiden sind. Laura Yoro hat für diese Inszenierung ein Einheitskostüm geschaffen, weiße Hosen, rötlich schimmernder Wämse und auf dem Rücken das Abbild eines Wirbel-Skeletts, das etwas Echsenhaftes hat.
Entrücktes spiegelt dieser Anfang, der weit in die Vergangenheit der Menschheit zurückblickend einen für immer verlorenen Sehnsuchtsort präsentiert – wenn nicht der kopfüber hängende Wald verstören würde. Lange verharren die aneinander gepressten Körper in der gemeinsamen Bewegung. Erst allmählich lösen sich Einzelne aus der Gruppe, suchen sich im Raum einen eigenen Platz, probieren kleine individuelle Bewegungen, wie das Strecken einer Hand oder das Ausspreizen der Finger. Die vier Tänzerinnen bleiben dabei ganz bei sich, jede entwickelt für sich ganz eigene Ausdrucksformen. Nebenbei entstehen so schmerzliche Bilder der Vereinzelung, wird mehr und mehr die dunkle Seite der Individuation spürbar.
Im nunmehr rötlich schimmernden Licht entwickelt Eva Baumann starke Bilder. Skulpturhaft werden die Körper der Tänzerinnen geformt, die in immer neuen Formationen von der Sehnsucht erzählen, die verlorene Gemeinsamkeit untereinander und zur Natur wieder herzustellen. Nicht nur durch die stimmungsvolle Lichtführung (Licht & Technik: Ingo Jooß, Lorenz Uhlig), sondern auch durch die atmosphärischen Kompositionen von Michael Berentsen erreicht dieser Abend eine Dichte, die einen in den Bann nimmt. Im Wechsel zwischen den Klängen, die einen traumhaften Charakter haben, und Stille, die genaue Zäsuren setzt, wird die minimale Aktion wie unter der Linse eines Mikroskops herausgehoben. Zudem hat das langsame Bewegungsrepertoire etwas Mediatives, ohne esoterisch zu wirken.
Eva Baumann ist ein großer Wurf gelungen.