Gockel lässt den Hinkemann mit seinem Autor abrechnen, er inszeniert die Revolution und die Ermordung Kurt Eisners. Auf der Bühne gibt es einen Maskenball (was den Corona-Beschränkungen natürlich ebenso entgegen kommt wie das Puppenspiel), eine leicht klamaukige Volksversammlung, einen live übertragenen Flugzeugabsturz im Innenhof und einen Stummfilm zur antisemitischen Thule-Gesellschaft im Hotel „Vier Jahreszeiten“ mit Gro Swantje Kohlhof in allen Rollen, die sich auch noch grandios selbst live synchronisiert. In dieser Phase der Inszenierung schwingt eine etwas unglückliche „Wir erinnern an das Vergessene“-Haltung mit. Unglücklich, weil: Vergessen ist Ernst Toller nicht. Vor allem nicht, seit sich die Revolution 2018 zum hundertsten Mal jährte, es Theaterprojekte von Hans Well und Christine Umpfenbach sowie eine Ausstellung in der Monacensia zum Thema gab. Der einzige, der sie tatsächlich „vergessen“ hat, ist Ministerpräsident Markus Söder, der in seiner Rede zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern ohne Erwähnung von Eisner und Co. auskam. Trotzdem: Zwei Jahre nach all den Gedenkveranstaltungen von einer „vergessenen Revolution“ zu sprechen, wie das auch im Programmheft geschieht, lässt auf eine eher oberflächliche Auseinandersetzung mit der Thematik schließen.
Überhaupt ist an diesem Abend viel gut, aber von allem eben auch ein wenig zu viel. Zusätzlich zur ohnehin ereignisreichen Biographie Tollers werden mal eben seine Stücke mit inszeniert. Themen und Fragen werden angeschnitten, aber nicht ergründet. Der optische Effekt wird manches Mal über den inhaltlichen Mehrwert gestellt, hie und da wird es wirr. Am Ende des Spektakels findet sich Walter Hess wiederum alleine auf der Bühne. Der Rückblick auf sein Leben als Ernst Toller endet, wie er begonnen hat: mit einem Blick zurück auf die Schulklasse, in der er einst saß. Diesmal werden die Schulbänke mit den Puppen auf die Bühnenwand projiziert, sie stehen nun auf einer Wiese in der Natur. Die Zeit der Unschuld, die Zeit vor den Weltkriegen ist in weite Ferne gerückt. Toller – und das Publikum – wissen nun um ihr Schicksal. Der alte Mann ist ein Fremder in einer Gesellschaft voll selbstoptimierter Individuen geworden. Alle Ideale vergessen? Alle Kämpfe vergebens? Der Abend endet nachdenklich und mit einer Ruhe, die ihm zwischendurch abhanden gekommen ist. Hess verweist auf die Sintflut wie Tollers Hinkemann. Dessen letzte Worte lauten: „Jeder Tag kann das Paradies bringen, jede Nacht die Sintflut.“ Es liegt in unserer Hand.