Szene aus der Schauspieluraufführung „Ablass“ von David Gieselmann am Landestheater Eisenach.

An der Absurditätsschraube gedreht

David Gieselmann: Ablass

Theater:Landestheater Eisenach, Premiere:18.03.2017 (UA)Regie:Boris C. Motzki

Am Frühstückstisch erzählt Ivan seiner Familie, er habe da im Internet Leute kennengelernt, die ihm sagten, dass und wie man anders leben könne. Dass er dafür eine weite Reise machen muss, beunruhigt Vater Klaus und Mutter Claudette mehr als der mögliche Hintergrund seiner Worte. Dann streiten die Eltern weiter über ihren Job, das Limonade-Machen. Nur Schwester Ivette reagiert argwöhnisch auf die Worte ihres Bruders. So beginnt im Landestheater Eisenach die Uraufführung des Stückes „Ablass“ von David Gieselmann.

Im Reformationsjahr das Thema jungen Zuschauern möglichst heutig nahezubringen, so lautete der Stückauftrag, dessen Ergebnis der scheidende Schauspieldirektor Boris C. Motzki in Szene setzte. Anke Niehammer hat dafür ein Hausgestänge auf die Bühne gebaut, teils mit weißen Vorhängen verhängt, dazu Tisch und vier Stühle für die Familie. Rechts daneben sitzt ein Mann in einem roten Sessel und entpuppt sich schnell als Sektenprediger Sapor (Gregor Nöllen), der gleich zu Beginn seine Ideologie ins Publikum spricht: Terror des Individuums, gegen den Dreifaltigkeit helfe, der Mensch ein Herdentier, das in der Gemeinschaft aufgehe. Solche Predigten, von rituellen Handbewegungen begleitet, kommen immer wieder im Stück vor. Doch erstmal wird im Takt der Musik der Frühstückstisch gedeckt und Ivan (Roman Kimmich) erzählt von seiner neuen Welt, die sich immer mehr in die Familie einschleichen wird.

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Das ist als Aufhänger nicht so schlecht, wenn man jungen Zuschauern vor Augen führen kann, wie (leicht) man in die Fänge einer Sekte geraten kann. Denn bald steht Sapor bei der Familie im Zimmer, erst nur zu Besuch, dann zieht er ein, die Einzugsermächtigung für den Ablass von Vater, Mutter, Tochter hat er gleich dabei. Und auch die Erklärung für Ivans Sekten-Anfälligkeit wird beiläufig geliefert: „Früher war ich niemand, jetzt werde ich gemocht.“ Vater (Yorck Hoßfeld) und Mutter (Jannike Schubert) geben schnell klein bei, sie trinkt aus der Flasche, er wanzt sich mit „Digga, Alter“ an den Sohn ran. Nur Yvette (wunderbar: Ekaterina Ivanova) bleibt renitent, redet von Gehirnwäsche und Zensur. Boris C. Motzki hat das geradlinig am Text entlang inszeniert, mit hipper Musik nach jeder Szene und immer wieder demselben Werbefilmchen für Limonade.

Das ist bis zur Pause des zweistündigen Abends nicht überragend, aber einigermaßen überzeugend. Doch dann dreht Gieselmann die Absurditätsschraube bis zum Anschlag und die Regie setzt dem leider nichts entgegen. Die Mutter wird auf Geheiß der Sekte durch Brior (Dagmar Poppy) ersetzt, die weinerlich über „diese furchtbaren Teenager“ schimpft. Der Hinweis auf die Trash-TV-Serie „Frauentausch“ fehlt ebensowenig wie gemeinsames Heulen und Zähneklappern mit Vater Klaus. Ivan, jetzt mit dem Sektennamen Ivor, übernimmt buddhagleich und selbstzufrieden das Kommando in der Familie. Dann erscheint der Mann aus der Limo-Werbung auf der Bühne, wird niedergeschlagen, soll plötzlich der Sektenmann Sapor sein. Auf einmal scheinen alle Undercover-Agenten gegen die Sekte zu sein und Yvette verfasst 9,5 Thesen (Achtung: Luther!) und klebt sie ans Hausgestänge. Am Ende sitzt die Familie wieder am Frühstückstisch, nun aber tragen alle vier die grüne Kapuzenkutte der Sekte. Schade, da wurden gleich zwei wichtige Themen verschenkt.