Zwölf scheinbar willkürlich ausgewählte Szenen reiht das Stück aneinander. Zusammen mit den weitaus größeren Leerstellen dazwischen entsteht ein Kontinuum von Brüchigkeiten, eine Art psychologisches Puzzlespiel der Biografie Sophies. Ouwehand deutet nur an, wie das zu rekonstruieren wäre, was man Identität nennen könnte. Was das Sophie-Ich – wenn es das denn gibt – vielleicht im Innersten zusammenhält. Aber ist Kontinuität nicht ein Konstrukt? So wie das Leben, das in Augenblicke zerfällt, die sich in erbarmungsloser Chronologie aneinanderreihen. Genau so jedenfalls inszeniert Uitdehaag und lässt das jeweilige Alter der Protagonistin einblenden. Handlungsort ist ausschließlich ihr Kinderzimmer, in das sie auch als Erwachsene zu Familienfeiern immer wieder zurückkehrt – und dort nach dem Tod der Eltern erneut einzieht. Einen kargen Kasten, offen für Fantasie, hat Tom Schenk bauen lassen, ein Bett (Ort der Geburt, des Rückzugs, der Zweisamkeit, des Todes) steht im Zentrum. Sonst nur noch eine Staffelei als Hinweis, was Sophie gern beruflich gemacht hätte, aber erst als Seniorin praktiziert: Malen. Zu erleben sind realistische Figuren, die in gut gebauten Dialogen miteinander interagieren. Es entstehen intime, emotionale, nie sentimentale Situationen.
Zu Beginn wirkt es noch etwas albern, wenn die Darsteller Sechsjährige spielen müssen. Sprachlich sind sie dem behaupteten Alter aber bereits weit voraus und Sophie schon kenntlich als keck direktes, forsch selbstbestimmt sein wollendes Wesen. Teilt sie ihrem Sandkastenfreund Daniel doch mit, keine Kinder haben zu wollen: „Man ist ständig damit beschäftigt, sie zu füttern, sie anzuziehen und ihren Krempel aufzuräumen. Und was kriegt man dafür? Geschrei und Rotznasen. Und stinkende Windeln … Also, wenn wir später heiraten, kriegst du keine Kinder. Damit du es weißt.“ Daniel: „Nö, naja, okay, prima.“ Als orientierungshungrige 12-Jährige redet Sophie mit der Mutter über die Notwendigkeit von Veränderungen, Anlass ist der immer häufiger bei seiner Freundin weilende Vater, dem die rotzig pubertierende 17-Jährige dann die Leviten liest. Was sie mit 25 immer noch beschäftigt: „Es ist so unerträglich, nach all den Jahren ist da kein Schmerz, der nackt und bloß auf dem Tisch liegt. Ein Schmerz, über den wir Witze machen könnten, stattdessen steckt er immer noch wie ein Kloß hier im Hals.“ Jahre später heiratet Sophie dann Kees, wird aller Kinderklugheit zum Trotz doch Mutter, wenn auch panisch, und zur perfektionistischen Hausfrau-Hysterikerin, so dass ihr Gatte schnell wieder das Weite sucht. Auf der Beerdigung der Mutter verbandelt sie sich endlich mit Daniel, der sie bald als Alzheimer-Patient verlässt … da ist sie einem längst ans Herz gewachsen. Denn an ihr außergewöhnlich gewöhnliches Dasein kann wohl jeder Zuschauer irgendwo andocken.
Uneingeschränkt beeindruckend ist es, Anika Mauer beim Altern auf offener Bühne zuzusehen. Dabei wechselt sie zwischen den Szenen nur das Kostüm und macht die Haare etwas wuscheliger oder strenger zurecht. Alles andere ist wandlungsfähiges Schauspielhandwerk vom Allerfeinsten. So empathisch wie resolut entwickelt Mauer ihre Sophie als eine burschikose, mutige, offenherzige Frau, die ständig ihre Gefühle vor der Bevormundung durch andere beschützen muss. Dabei ist sie meist am Rande des Aus- oder Zusammenbruchs. Leider halten ihre Spielpartner das Niveau nicht immer, sind allzu häufig Boulevardtheater-Klischeetypen. Obwohl Antoine Uitdehaag den Abend ansonsten betont sachlich arrangiert. Der Vorlage Sprachpräzision lässt er in Sprechpräzision übersetzen. Mit feinem Sinn für Untertöne, Fallstricke und Komik. Insgesamt eine Feier des menschlichen Lebens in seiner Fragilität, Wechselhaftigkeit und Alltäglichkeit.