Mansur Ajang (Leo), Lene Dax (Sarah) und, hinten rechts, Nisha Hadodo und Knut Kolckmann im Maschinenhaus Essen.

Zwei Familien, viele Klischees und ein Geheimnis

Dawn King: Alles wie es sein soll

Theater:Schauspiel Essen, Premiere:08.02.2025 (UA)Regie:Adrian Fugeroa

Das Auftragswerk „Alles wie es sein soll“ von Dawn King wurde vom Schauspiel Essen uraufgeführt. Es zeigt zwei geheimnisvoll verbundene Familien und hinterlässt gemischte Eindrücke über Text und Inszenierung von Adrian Figueroa.

Die irische Autorin Dawn King schreibt hauptsächlich dystopische Stücke, wie das an deutschen Theatern sehr erfolgreiche „Foxfinder“. „Alles wie es sein soll“, der Name verrät es, ist nun keine Dystopie. Das Auftragswerk des Schauspiels Essen im Maschinenhaus Essen kreist einerseits um Tod und Leben, um einen Kreislauf des Lebens, andererseits um die Familie als zentralen Zusammenhalt des Lebens.

Es geht um zwei Familien: Der 17-jährige Ben hat einen Lehrer geschlagen, was zu einem grundsätzlichen Streit mit seinem Vater Leo führt. Die Stiefmutter Sarah versucht zu vermitteln, fühlt sich jedoch mit ihrer Schwangerschaft selbst belastet. In der anderen Familie steht die etwa 60-jährige, kranke Hannah im Mittelpunkt. Sie stirbt – durch Sterbehilfe –; doch ihre Tochter und die Enkelkinder vermissen Hanna sehr. Die Familiengeschichten werden parallel erzählt, irgendwann treffen sie aufeinander wie Nebelschwaden: Hannah ist Sarahs ungeborene Tochter.

Flüssige Handlung ohne Konflikte

Der Text von Dawn King führt die Handlung sehr flüssig, aber vermeidet dramatische Konflikte: Leo und Ben sind zu weit voneinander entfernt, Hanna lebt zu sehr in ihrer eigenen Welt. Was möglich wäre, sieht man in einer Szene, in der Sarah und Ben zusammen Pizza essen und versuchen, sich vorsichtig anzunähern, bis Ben abbricht, weil seine Haltung, seine Opposition ins Schwanken gerät. Hier gelingt es dem Regisseur Adrian Figueroa und den Schauspieler:innen Lene Dax und Knut Kolckmann die vielen Klischees des Textes zur Menschendarstellung zu nutzen.

Figueroa versucht das auch durch wechselnde Distanz. Das fängt mit dem Raum an. Das Maschinenhaus auf der Zeche Carl bleibt ein Industrieraum mit einer, sozusagen, unverkleideten Bühne. Schon im Anfangsmonolog wird Ines Krug als Hanna immer mal aus dem Dunkel herausgeleuchtet und wieder abgedunkelt. Wie wirklich ist sie? Irina Schickedanz hat sich drei große Bilderrahmen ausgedacht, die die „normalen“ Familienplätze – Ehebett, Sitzecke, Kinderzimmer, Küche – , auch durch das Industriesetting, erhöhen und entfernen. Auch Alltagshandlungen wie Spielen von Computerspielen oder das Abspielen von Musik erscheinen künstlerisch verfremdet. Und die Tatsache, dass es sich bei dieser Produktion um ein Zusammenspiel vom Schauspiel Essen mit dem Stadt-Ensemble Plus handelt, also hier fünf Schauspieler:innen mit fünf Laien zusammenspielen, nutzt der Regisseur, um auf die Authentizität-Probleme hinzuweisen: Was ist Leben, was ist Theater? Wie echt sind wir?

Zu viele Klischees

Es bleiben trotzdem zu viele oberflächliche Fernsehserien-Klischees im Text. Zu viel Themen – vom Klimawandel über böse Konzerne bis hin zur Sucht sich zu bewaffnen – werden angerissen aber nicht ausgeführt, und nicht immer so sicher auf Pointe gespielt, wie bei Nisha Hadodo als Bens Freundin Kati, die übrigens wie Knut Kolckmann als Ben zu den Laien im Ensemble gehört. Warum ist Ben auch noch ein fast krankhafter Computerspieler? Warum ist Leo auch noch ein Selbstständiger, der seine Firma in die Insolvenz geführt und seine Frau verloren hat? Natürlich gibt es das alles im Leben, aber was soll es auf der Theaterbühne? In der Hanna-Geschichte, die ja zwingend 60 Jahre nach der anderen spielt, werden viele Science-Fiction-Thesen aus zweiter Hand ausgestellt, unansehnlich gekleidet in die Kostüme von Irina Schickedanz. Was fehlt, merkt man an der letzten Szene. Da begegnet die tote Hanna ihrer Mutter Sarah, die sie noch nicht geboren hat. In einem Fernsehspiel wäre das unmöglich, aber auf der Theaterbühne hat die Szene plötzlich ein großes Geheimnis, sie zeigt einen Konflikt mit zwei wirklichen Menschen.

Ines Krug und Lene Dax in der Schlussszene von "Alles wie es sein soll"

Ines Krug und Lene Dax in der Schlusszene von „Alles wie es sein soll“ © Thomas Rabsch