In dem intimen Doppelabend ist im ersten Teil ein expliziter Fall von Wahnsinn das Thema. Im Werk „Eight Songs for a mad King“ von Peter Maxwell Davis greift der Komponist einen Fall royaler Geistesverwirrung auf. Er bezieht sich dabei auf die Demenz von Georg III. von England (1738-1820). Ein König, der seinen Vögeln ernsthaft das Singen beibringen wollte, war an der Spitze des Weltreiches nicht mehr tragbar. Den Vögeln weist der Komponist immer wieder mal eigene Instrumente zu, manche Zitate (etwa aus Händels „Messias“) blitzen auch hinter der Nebelwand der vertonten Wahrnehmungsverwirrung durch.
Aber nicht nur, was der deutsche Bariton Johannes Martin Kränzle hier auf die Bühne bringt, begeistert. Auch das Wie, zu dem ihn Regisseur Barrie Kosky animiert und angetrieben hat, ist im doppelten Wortsinn der pure Wahnsinn. Dass Kosky in der Lage ist, als Regisseur jede wiedererkennbare Bilderwelt hinter sich zu lassen und sich voll auf den singenden und gestaltenden Menschen zu konzentrieren, hatte er exemplarisch mit seiner Frankfurter „Salome“ demonstriert. Eine Frau allein im Lichtspott, die Wucht der Musik und die Phantasie der Zuschauer – das waren damals die Ingredienzien für eine packende Inszenierung.
Wuchtige Darstellung, wenig Bühne
Diesmal treibt er diesen Minimalismus der Form für ein Maximum an Wirkung, zusammen mit dem Raum- und Lichtgestalter Urs Schönbaum, auf die Spitze. Nackt bis auf die Unterhose steht Kränzle im Lichtspott der leeren, schwarz ausgeschlagenen Bühne an der Rampe. Gleich nachdem Dirigent Pierre Bleuse mit dem Ensemble Intercontemporain in einem regelrechten akustischen Schreckmoment den Saal geflutet hat, übernimmt Kränzle. Er liefert sich dem Wahnsinn eines Königs aus, der in einem der Lieder trotzig von sich behauptet, er sei nicht krank, sondern nur nervös.
Der Sänger und Darsteller Kränzle liefert sich aber vor allem den Blicken des Publikums aus. Und schlägt es vom ersten Ton an in den Bann. An einer Hand überlange Fingernägel, eine Seite des Gesichts scheint lädiert. Ansonsten setzt Kränzle seinen Körper, seine Stimme, seine Mimik ein und betreibt eine Grenzgängerei des Ausdrucks bis zum Exzess. Er dringt dabei in Regionen vor, von denen man bislang gar nicht wusste, dass man sie erreichen kann. Mit abenteuerlichen Wechseln der Tonhöhe und von der normalen Singstimme in kreischende Höhen, ins Flüstern, Schreien, Stöhnen. Am Ende des letzten Liedes „A Spanish March“ traktiert König Kränzle eine Violine und zerstört sie wie ein vom Weg abgekommener Rockstar auf Speed. Und doch schafft es Kränzle vor allem, Empathie für diesen Georg zu wecken.
Gemeinsame Grenzerfahrung
Im zweiten, etwas ausufernden Teil des Abends machen sich Sopranistin Anna Prohaska und Violinistin Patricia Kopatschinskaja im Duett von Stimme und Instrument die Kafka-Fragmente von György Kurtág zu eigen, die 1987 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt wurden.
Auch hier geht es um eine Grenzerfahrung mit vierzig Miniaturen, die sich auf Worte von Kafka beziehen. Wie Zwillinge treten die beiden aus dem Dunkel hervor und immer wieder ins Licht. In der Zersplitterung der Gedanken, die durchs Dunkel der Bühne wirbeln, vom Scheinwerfer erfasst werden oder den Körper der Sängerin ergreifen, liegt per se schon eine Anmutung dessen, was man sich angewöhnt hat, kafkaesk zu nennen. Natürlich bewältigt Prohaska souverän den geforderten permanenten Wechsel zwischen lyrischem und Sprechgesang, Flüstern, Schreien oder auch Lachen, Atmen und Stöhnen. Das alles bei vollem Körpereinsatz.
Am Ende werden ein für Festivals geeignetes Programm mit zwei Stücken herausfordernder Moderne, zwei außergewöhnliche Sängerdarsteller und ein Regisseur bejubelt, der mal wieder bewiesen hat, dass er alles kann.