Foto: Anja Stange (Antje), Ralf Hocke (Dirk) und Cornelia Löhr (Claudia) warten ungeduldig. © H. Dietz Fotografie
Text:Volker Tzschucke, am 6. Oktober 2024
Das Theater Hof erzählt mit der Uraufführung des Auftragswerks „Das Wunder von Hof“ von Jörg Menke-Peitzmeyer die Geschichte der Wende mit viel Witz und Ernsthaftigkeit.
Die Bilder dürfen in keinem Rückblick auf die Wendejahre 1989/90 und die deutsche Wiedervereinigung fehlen: DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft. Genscher auf dem Botschaftsbalkon. Entgrenzter Jubel. Ankunft des ersten Zuges mit Botschaftsflüchtlingen am 1. Oktober 1989, 6.14 Uhr auf dem Bahnhof im oberfränkischen Hof. „Freiheit! Freiheit!“.
Zum 35. Mal jährte sich das Ereignis. Die Stadt Hof feierte es so sehr, dass man in der im benachbarten Südwestsachsen erscheinenden Tageszeitung Freie Presse schon besorgt fragte, ob sich der Westen nun auch noch das Gedenken ans vormalige Freiheitsstreben der Ostdeutschen aneignen wolle. Auch der Titel des Theaterstücks, das man im Theater Hof anlässlich des Jahrestags bei Jörg Menke-Peitzmeyer bestellte, scheint diese Sorge zu bestärken: „Das Wunder von Hof“. Was bitte soll das denn sein? Der Ossi wundert sich. Und darf bei der Premiere am 5. Oktober auch erstmal verwundert bleiben.
Am Set der Geschichte
Das Setting: Am Bahnhof Hof soll ein Low-Budget-Film gedreht werden über die 35 Jahre zurückliegenden Ereignisse. „Geschichte liegt halt im Trend“, sagt die Hoferin Antje, die damals 17-jährig dabei war in der eiligst eingerichteten Suppenküche des Roten Kreuzes. Damit die ins Bild gesetzt wird, gibt’s alles, was es für so einen Low-Budget-Film braucht: einen in die Jahre gekommenen Originalschauplatz, die von Bühnenbildner Johann Jörg angedeutete beeindruckende Königshalle des Bahnhofs.
Ein klischeebehaftetes Drehbuch, Autor unbekannt. Drei Schauspieler, die Publikum ziehen: den jugendlichen Alexander (Maurice Daniel Ernst), Kategorie Soap-Star. Den Tatort-erprobten Tobias (Benedict Friederich), die türkischstämmige Sude (Charlotte Kaiser) in ihrer ersten großen Rolle. Die aber auch als Assistenz einspringen muss. „Hintergrundkünstler“ wie Antje (Anja Stange) und Dirk (Ralf Hocke), die – nun, ja – den Hintergrund füllen, mit ihrer eigenen Ost-West-Geschichte jedoch viel Hintergrund beizutragen hätten. Einen zynischen Regisseur mit wehendem Haar und Sonnenbrille (Oliver Hildebrandt). Und so weiter.
Kampf um Klamauk
Das klamaukt sich in der ersten Hälfte ordentlich dahin. Vor allem, weil Alexander mit seiner ersten ernsthaften Rolle ernsthaft überfordert ist. Regisseur Norman arbeitet sich angemessen an ihm ab, lockert ihn und auch gleich mal das ganze Publikum mit ein paar Übungen. Sude stellt das Erlebnis der westdeutschen Freiheit als sally-esken Orgasmus dar. Am oberfränkischen Dialekt des Landrats, der einst die Geflüchteten begrüßte, wird mit Publikumshilfe eine Weile gefeilt.
Dass Statist Dirk (Ralf Hocke) aus Tangermünde ein für die Altmark untypisches Sächsisch statt Ostniederdeutsch spricht, geht im befürchteten „Dialekt-Debakel“ unter. Und wäre ja auch am Klischee vorbei. Dieses aufzubrechen, ist Sache der Hintergrundkünstler, die in eingestreuten Szenen gegen den Klamauk ankämpfen. Ist das wirklich unsere Geschichte, fragen sie. Ist das der Stand der deutschen Einheit?, will man sich dem Fragen zur Pause anschließen. Boulevardtheater?
Ernste Erinnerungen
Doch vielleicht ist es nur der Stand, auf dem das Publikum abgeholt werden möchte. So heiter ist es bis nach den Halbzeitschnittchen gestimmt, dass auch banales Biertrinken auf der Bühne belacht wird. Dass Bühnengesang – „One Moment in Time“, „I’ve been looking for freedom“ – noch kurz bejubelt wird. Von nun an soll es ernster werden.
Die Hintergrundkünstler drängen sich in den Vordergrund. Erzählen, wie die anfängliche Euphorie der Hofer über ostdeutsches Glück und eigene Großherzigkeit schnell umschlug in Überforderung und Abwehrhaltung. Weil Supermärkte leer gekauft wurden und das Stadtbad zur „Sachsen-Schwemme“ wurde. Dass westdeutsche Geschäftemacherei den befreiten Osten überfiel. Dass die DDR zum Unrechtsstaat erklärt wurde und von der Heimat, die sie den Ostdeutschen auch war, nicht viel übrigblieb. Dass in Hof kaum etwas an die Zugankünfte erinnert, die das „Bayrisch-Sibirien“ doch für 15 Minuten zum Mittelpunkt der Weltgeschichte gemacht hatten.
Die westdeutsche Gleichgültigkeit der deutschen Einheit gegenüber sei das, was am meisten schmerze, sagt der Altmarker Dirk. „Wir haben noch nicht mal unser eigenes Land geliebt, was sollten wir da mit einem zweiten“, klärt ihn der tief im Westen aufgewachsene Wirt (Philipp Brammer) auf. Man müsse sich fragen, was im vereinten Deutschland, vor allem aber auch im Westen schiefgelaufen sei, wenn sich heute wieder so viele Menschen im Osten in ein autoritäres System zurücksehnten.
Eine Antwort gibt es darauf nicht, doch die Zustandsbeschreibungen und Fragen bleiben hängen. Das Boulevardeske mit all seinen Klischees und alten Witzen und schlechten Perücken und vereintem Liedgut: als trojanisches Pferd, das den Weg hinter tiefe Gräben und gedankliche Mauern öffnet und auf eine tiefer gehende, emotional wie intellektuell anregende Analyse weist, funktioniert es. Man möchte es Regisseur Reinhard Göber ebenso hoch anrechnen wie Autor Jörg Menke-Peitzmeyer und auch dem schauspielenden Team, das hier keinen einfachen Weg zu gehen hat.