Foto: Lambert Hamel (Werner Von Späth) und Arnulf Schumacher (Franz) in "Hotel Capri" © Thomas Dashuber
Text:Anne Fritsch, am 18. September 2013
Ein Mann kommt in ein Hotel. Werner. Vor 47 Jahren war er schon mal hier. Erlebte im Zimmer Nummer 11 eine Jugendliebe. Vielleicht seine einzige. Mit Franz aus seiner Fußballmannschaft. Jetzt ist das Zimmer so abgestanden wie die Gefühle von einst. „Hotel Capri“ heißt das neue Stück von Thomas Jonigk. Wieder einmal beschäftigt er sich mit der Frage, wie der Mensch sein Leben lebt, welche der unendlichen Möglichkeiten er nutzt, welche er verstreichen lässt. Träumt man sein Leben? Oder lebt man seinen Traum? Als wäre das so einfach wie ein Eintrag im Poesi-Album. Jonigk erzählt von den ungelebten Träumen, von verträumten Leben. „Wirklich empfinden tu ich nur das Versäumte“, sagt Werner rückblickend. Damals wollte er nicht zu seiner Liebe stehen. Heute will er Franz wiedersehen.
Doch anscheinend vertraute der Autor der Geschichte eines alten Mannes, der sein Leben lang einer verpassten Chance nachtrauert, nicht: Er stellt ihm die grelle Christine zur Seite, die zufällig dasselbe Zimmer gebucht hat und nicht daran denkt, wieder zu gehen. Denn auch sie ist allein. Auch sie hat einen ungelebten Traum: den von einem Leben in der Südsee.
Jonigk spielt mit Sehnsüchten, mit Wahrheit und Illusion. Wer bin ich? Was ist wahr? Was Fantasie? Seine Figuren erfinden sich ständig neu – oder bleiben an einer fixen Idee hängen. Wie die Südseepalmen sich an diesem tristen Ort nur auf der schäbigen Motivtapete wiederfinden, die Stefan Hageneier an die bedrückend hohen Wände geklebt hat, so verbindet die hier Gestrandeten nur eins: Keiner von ihnen lebt das Leben, das er gerne hätte. Das Zimmermädchen, der Hoteldirektor, Werner, Christine und deren Exfreund: glücklich ist keiner mit sich. Doch anstatt ihre Geschichten wirklich zu erzählen, reißt dieser Abend alles nur an. Sobald man sich für eine Figur zu interessieren beginnt, springt das Stück zur nächsten. Aus Angst vor der Sentimentalität, die in seinem Thema lauert, verstrickt sich Jonigk in zu viele Nebenschauplätze und Albernheiten. Die Sentimentalität vermeidet er so nicht, wohl aber die Tiefe. Wirklichkeit, Erinnerungen und Wahnvorstellungen vermischen sich zu einem großen Chaos, das kaum Raum lässt für die ernsten Fragen, die sich hinter dem Tohuwabohu verbergen. Philosophische Fragen nach dem Sinn des Ganzen, des Lebens.
Tina Lanik hat die Uraufführung mit Lambert Hamel und Juliane Köhler in den Hauptrollen im Münchner Cuvilliéstheater inszeniert. Wie leider oft übertreibt die Regisseurin maßlos. Auf der Bühne herrscht permanente Hektik: Juliane Köhlers Christine ist eine, die ihre Ängste mit Hyperaktivität und hysterischen Hüpforgien auf dem Bett zu überspielen sucht. Die Türen schlagen wie im Komödienstadl auf und zu. Und zu allem Überfluss tänzeln auch noch zwei halbnackte Jünglinge über die Bühne und vollziehen unbeholfen angedeuteten Sex, der vor allem eines hat: Potential zum Fremdschämen. Lambert Hamels Werner steht dem wilden Treiben um ihn herum beherrscht, nahezu unbeteiligt gegenüber. Ein bloßer Zuschauer im eigenen Leben. Am Ende liegt er in dem Hotelbett, in dem er einst verliebt war. Das Hotel Capri hat sein Leben überstrahlt – wie die Leuchtschrift im Hintergrund nun die Bühne. Bevor sie im Dunkel versinkt wie die rote Schlager-Sonne im Meer vor Capri. Beide getragen von dem allzu menschlichen Wunsch nach Liebe und ewiger Treue.