Foto: Ein Stück über den Zusammenbruch: hier Tilman Kanitz (Musiker), Klaus Zmorek (Politiker) und Lydia Stäubli (Unternehmerin). © Thilo Beu
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 25. Januar 2020
Die Badewanne ist der beste Ort zum Sterben. Medial gesehen. Das galt nicht nur für Politiker von Marat bis Barschel, das gilt auch für den Schauspieler (Jan Viethen). In seinem übergroßen Strickpullover und seinen verstrubbelten Haaren wirkt er wie ein Kind. Er räsoniert über die Bekanntheit seines Gesichts, über Ruhm, Sex und liegt schon mal Probe, steigt aber wieder aus der Wanne heraus. Das Sterben ist eine zähe Sache. Dann mischt sich auch noch ein dreiköpfiger Chor (Sulamith Hartmann, Leona Holzki, Elias Konradi) ein. Er drängt, er lockt – doch so schnell gibt der Schauspieler Bewunderung und Ansehen nicht auf.
Anja Hillings Stück „Apeiron“, das am Theater Bonn uraufgeführt wurde, ist ein gewaltiger Brocken, irgendwo zwischen Raunen, Analyse und Assoziation. Es beschreibt Formen des Zusammenbruchs, vorgeführt an drei Figuren, einem Schauspieler, einer Unternehmerin und einem Politiker. Während der Schauspieler wie eine Hülle von verschiedenen Unterfiguren wie dem Wichser, dem Autor, dem Master, dem Buchhalter bewohnt wird, hat sich die Unternehmerin in einem Urlaubsressort eingemietet und lässt sich von einem Gigolo verführen und später erpressen. Der Politiker räsoniert als „Mann im Kimono“ nach seinem Untergang über Öffentlichkeit und Macht. Allen drei lassen sich relativ leicht historischen Vorbildern wie Philip Seymour Hoffman, Susanne Klatten und Dominique Strauss-Kahn zuordnen.
Was Hilling mit ihrem „Königsdrama in der medialen Gegenwart“ zu fassen versucht, ist allerdings weniger einfach zu bestimmen. Offenbar geht es der Autorin um die Implosion des Konstrukts aus Ich, Öffentlichkeit und medialem Bild. Mit flächigen, dialogischen und sentenzhaften Textformen kreist „Apeiron“ – der Titel bezieht sich auf einen Begriff des Vorsokratikers Anaximander, der damit das Unbegrenzte und Unbestimmte beschrieb – um den Zwang zur Individuation, die Verabsolutierung des Ichs, die Macht der Attraktion und den Sturz aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Regisseur Ludger Engels lässt den Abend mit einer strengen orthogonalen Choreographie beginnen. Die Darsteller haben rot gemalte Schläfen, Sibylle Wallums Kostüme asiatischen Touch. An der Bühnenkante fährt ein Gestell mit Scheinwerfer, Kamera und Nebelmaschine monoton hin und her, produziert Bilder, projiziert sie, vernebelt sie. Eine Maschine, die unablässig in Betrieb ist. Nach einem Chorvorspiel, das quasi den Ausgangspunkt der Ich-Bildung im Verhältnis zur Menge setzt, lässt der Schauspieler sein vielfach gebrochenes Ich aufmarschieren. In ihm streiten die Bitte um Aufmerksamkeit, eine Art Willkommenskultur für alle möglichen Bewunderer und totalitäre Selbstinspektion. Ganz anders dagegen die Unternehmerin (Lydia Stäubli) in ihrem altrosa Kostüm, die in der Begegnung mit anderen Urlaubsgästen und einem Masseur ihr Innerstes offenbart. „Madame“, wie sie bei Hilling heißt, erzählt von dem bereits durch den Reichtum – Klatten ist Großaktionärin bei BMW – verfestigten öffentlichen Bild, von der Leere und Einsamkeit, die sich der Erpresser zunutze machte. Sie verkriecht sich unter den Pullover des Schauspielers, strapaziert den Begriff des Vertrauens, fabuliert sich in eine Stellvertreterposition aller Frauen. Es ist viel Klischee in diesen porträthaften Umrissen, das letztlich auch die Regie nicht ganz aufbrechen kann.
Faszinierend dann die dritte Figur, der Politiker, der die Bezeichnung vom Königsdrama letztlich am überzeugendsten erfüllt. In einer Art Krönungsmantel aus einer Steppdecke wuselt Klaus Zmorek zwischen Bett, Barhocker und Wanne hin und her. Er ist ein Bruder im Geiste des Radikalindividualisten Max Stirner. Ich und Macht fallen quasi zusammen und lassen diesen Politiker abschätzig die Willfährigkeit der Bewunderer analysieren. Nietzsches Formulierung, dass die Konsequenz der Macht „das Einverleiben seines eigenen Bildes in fremden Stoff“ sei, wird hier paradigmatisch fassbar. Zugleich hat man es mit einem Getriebenen zu tun, sein Versuch, im Bett zu schlafen, scheitert sofort an der eigenen Nervosität. Ohne auf die Vergewaltigungsvorwürfe einzugehen, die Strauss-Kahn zu Fall brachten, gelingt Hilling hier ein eindrückliches Porträt zwischen der Hybris des Individuums, dem Rausch der Macht des Ichs, seinem Gerinnen im Bild und in der Depression. So genau das hier gesehen und von Ludger Engels auch ins Bild gesetzt ist: Seine Strategie der strikten Ästhetisierung hilft dem Stück von Anja Hilling nur zum Teil auf die Beine. Allzu vieles bleibt im Ungefähren, im Assoziativen hängen. Vielleicht täte dem Stück nach der ersten Bühnenberührung eine neuerliche Überarbeitung gut!