Foto: Joseph Dennis (Brighella), Torben Jürgens (Truffaldin), Daniela Fally (Zerbinetta), Carlos Osuna (Scaramuccio) und Rafael Fingerlos (Harlekin) © Ludwig Olah
Text:Jörn Peter Hiekel, am 3. Dezember 2018
Strauss-Opern werden heute wohl kaum irgendwo sonst auf so hohem Niveau wie an der Dresdner Semperoper realisiert. Das freilich hat, betrachtet man die Neuproduktionen der letzten etwa 10 Jahre, insgesamt weniger mit szenischen als mit musikalischen Darbietungen zu tun. In der letzten von Christian Thielemann verantworteten „Elektra“-Produktion etwa, die 2014 an diesem Hause Premiere hatte, war das Auseinanderdriften zwischen einer triumphalen musikalischen und einer eher mauen inszenatorischen Seite denkbar deutlich gewesen – und warf sogar die Frage auf, ob solche Inkohärenzen mit der Ästhetik von Strauss noch vereinbar sein können.
Um so begrüßenswerter, dass man nun für die „Ariadne auf Naxos“ mit David Hermann auf einen Regisseur zurückgriff, der nicht nur die Fähigkeit zu bildlichen Verklammerungen gegensätzlicher Welten, sondern auch zu differenzierter Personenführung besitzt. Und beides erscheint konstitutiv für das Gelingen dieses von faszinierenden Heterogenitäten geprägten Stückes, dessen Qualität ja nicht bloß in jener Fülle des vokalen Wohllauts besteht, die manchem Strauss-Verächter ohnehin suspekt ist. Gewiss kommt es der Dresdner Produktion zugute, dass Konzept und Szenerie fast unverändert von der kooperierenden Opéra National de Lorraine in Nancy übernommen wurden. Mit großem Geschick und ebensolcher Sinnfälligkeit werden darin die fortwährenden Brüche zwischen dem Heroischen und dem Heiteren, zwischen dem Rokokohaften und der antikischen Seite, ausgespielt. Als eigentliche Qualität erweist sich dabei Hermanns Vermögen, auch große Sängerpersönlichkeiten wie Krassimira Stoyanova (Ariadne), Daniela Fally (Zerbinetta) oder Stephen Gould (Bacchus) in dieses widerspruchsvolle Gesamtgefüge einzubeziehen. Denn nur jene sorgsame Personenregie, die in der erwähnten „Elektra“-Produktion schlicht fehlte, vermag das glaubhaft zu machen, was in Realisierungen dieser Oper oft auf der Strecke bleibt: das von Strauss und vor allem von Hugo von Hofmannsthal so nachdrücklich geforderte Vermögen aller Hauptpersonen zum „Allomatischen“, zur inneren Verwandlung.
Plausibel wird in dieser Inszenierung gezeigt, dass das Leichte und das Erhabene nicht einfach nur als gegenseitige Kontrastfolien firmieren, sondern beide Seiten ständigen Transformationsprozessen unterworfen sind und einander bedingen. Wenn Hofmannsthal vom „Eigentlichen“ sprach, mag er mehr Ariadne als ihre Gegenspielerin Zerbinetta im Sinn gehabt haben. Und doch tut Hermans Regiearbeit gut daran, dass sie die Differenzen zwischen beiden eher auffängt als verstärkt, um die inneren Vorgänge um so sichtbarer zu machen. Das bedeutet nicht nur den Verzicht auf vordergründige Effekte, sondern auch die Brechung jener kathartischen und manchmal eindimensional pathetischen Seite, die manche Aufführungen der seit dem „Rosenkavalier“ entstandenen Strauss-Opern lähmt.
Dass gerade die „Ariadne“ vielleicht mehr als jedes andere Werk von der produktiven Zusammenarbeit des Komponisten mit dem auf dramaturgische Originalität bedachten Dichter profitierte, wird in der Dresdner Produktion anhand des Nachdrucks nachvollziehbar, mit dem die im Prolog enthaltenen ironischen Akzente ausgespielt werden. Besonders überzeugend ist hier das Oszillieren zwischen Schauspiel- und Opernelementen. An dieser querständigen Seite ist, in der Rolle des Haushofmeisters, Alexander Pereira beteiligt, der derzeitige Mailänder Opernintendant. Er verleiht dem Ganzen nicht nur eine glaubhaft authentische, sondern auch eine auf den Uraufführungsort (der Zweitfassung) beziehbare wienerische Tönung. Und es überzeugt zudem, dass die hier exponierte Idee des „Theaters auf dem Theater“, über die sich Strauss und Hofmannsthal eigentümlich uneinig waren, von Hermann ganz am Schluss nochmals aufgegriffen wird.
Herausragend in dieser Produktion sind die beiden schon genannten weiblichen Hauptdarstellerinnen: Krassimira Stoyanova gibt der Ariadne eine enorme Suggestivkraft, aber akzentuiert außer der tragischen, todessehnsüchtigen Seite immer wieder auch die von Gelassenheit geprägten Momente. Doch vor allem Daniela Fally, gegenwärtig eine der gefragtesten Zerbinetta-Darstellerinnen, gelingt ein Rollenportrait von beeindruckender Vielfalt. Dass stupende Koloraturen nichts Äußerliches, sondern Ausdruck einer durch die Geschehnisse bedingten Exaltation sein können, wird so deutlich wie wohl nur selten. Und für Hofmannsthals Überzeugung, mit Hilfe dieser Figur ein im existenziellen Sinne „schlagendes“ Herz zu vergegenwärtigen, gilt Entsprechendes.
Zur insgesamt überzeugenden Riege an SängerdarstellerInnen tragen besonders auch Albert Dohmen (als vorzüglich zwischen den Gegensätzen vermittelnder Musiklehrer), Daniela Sindram (die den Komponisten trefflich unaufgeregt gibt) bei. Unter Christian Thielemann agiert die Sächsische Staatskapelle gewohnt souverän, beeindruckend vor allem in der Ausdifferenzierung der ungewöhnlichen, auch Klavier und Harmonium umfassenden Orchesterfarben. Während im Prolog stellenweise noch etwas zu laut musiziert wird und zudem einzelne der bis ins Groteske und Absurde reichenden Schattierungen unterbelichtet bleiben, gelingt es im Opern-Akt überaus trefflich, jene Momente der Verfremdung und der kammermusikalischen Nuancierung erfahrbar zu machen, die zur Originalität dieser Partitur gewiss wesentlich beitragen.