Foto: "Verkündigung" von Walter Braunfels. © Stephan Walzl
Text:Konstanze Führlbeck, am 2. Mai 2012
Zwei Reihen eiserner Betten stehen in einem vergitterten Raum: Thomas Dörflers Bühne zeigt eine hermetisch abgeschlossene Welt, alles verläuft nach immer gleichen Regeln. Hier spielt sich das Leben des Mädchens Violaine ab: Die Tochter des tiefgläubigen Salhofbesitzers Andreas Gradherz und seiner gütigen Frau Elisabeth küsst den Baumeister Peter von Ulm, der zur Strafe für seine versuchte Vergewaltigung an ihr am Aussatz erkrankt ist. So will sie ihm ihre Vergebung zeigen – und nimmt damit sein Leiden auf sich. Ihr Verlobter Jakobäus verstößt sie und heiratet ihre Schwester Mara. Während ihr Vater im Streben nach der Nachfolge Christi nach Jerusalem gepilgert ist, lebt Violaine erblindet als Aussätzige, an deren heiterer Gelassenheit im größten Leid sich die göttliche Gnade offenbart.
Erstmals seit der Kölner Uraufführung 1948 zeigt das Pfalztheater Kaiserslautern eine Inszenierung von Walter Braunfels Oper „Verkündigung“ nach einem Mysterienspiel des französischen Schriftstellers und Diplomaten Paul Claudel, der zu den Hauptvertretern des Symbolismus und Renouveau Catholique zählt. Auch Braunfels konvertierte nach einer Kriegsverwundung zum Katholizismus.
Regisseur Urs Häberli betont die überzeitlich-humanistischen Aspekte des zutiefst im katholischen Glauben verwurzelten Werkes und hebt die Verblendung der in ihrem Leben und seinen Normen erstarrten Protagonisten in einer durchweg stimmigen Personenregie hervor:
Andreas‘ und Violaines Entscheidungen irritieren und desorientieren die anderen, stellen deren unhinterfragt übernommene Werte und Überzeugungen durch die Unbedingtheit ihrer Hingabe in Frage und lassen diese so wie Blinde umhertasten und -taumeln. Bei solchen allegorischen Anspielungen belässt es Häberli aber; die zentralen religiösen Dimensionen des Werkes leuchtet er nicht aus, er macht eher ein Strindbergsches Familiendrama daraus. Seine Regie konzentriert sich – zu eindimensional vielleicht – auf schnörkellose, präzise konturierte Porträts der Charaktere und ihrer Beziehungen, die die Sänger-Darsteller überzeugend mit Leben füllen, allen voran Adelheid Fink mit ihrem wunderbar geführten, strahlenden lyrischen Sopran als unprätentiös-opferbereite Violaine. Bernd Valentin gestaltet Jakobäus‘ Unschlüssigkeit mit nuancenreichem Bariton und differenziertem Spiel; Steffen Schantz‘ dramatischer Tenor lässt den begnadigten Büßer Peter von Ulm lebendig werden. Alexis Wagners sonorer Bass zeichnet den gläubigen Gottessucher Andreas nach. Helena Köhne und Elena Laborenz runden das gut harmonierende Ensemble ab. Maras bedingungsloser Egoismus, stimmlich und darstellerisch in zahllosen Nuancen von der jungen Mezzosopranistin Melanie Lang ausgeformt, kulminiert in der Schlüsselszene der Oper – sie thematisiert das Weihnachtswunder eines wiedererweckten Kindes – in der Zurückweisung ihres eigenen Kindes, das nach seiner Erweckung die blauen Augen Violaines hat. Violaines Aufgabe ist jetzt vollbracht, das Attentat ihrer Schwester ist nur noch der äußere Vollzug, bevor die stets in sich ruhende freiwillige Büßerin mit dem Kind ihrer Schwester und einem unerschütterlichen Bekenntnis zum Leben in eine undefinierte transzendente Helle entschwindet.
Chor und Orchester des Pfalztheaters unter Leitung von Uwe Sandner zeigen sich der anspruchsvollen Partitur gewachsen: Stilsicher leuchten die flexibel agierenden Musiker die spätromantischen Klangfarben aus und entwerfen Entwicklungsbögen voll dramatischer Spannung, ohne jedoch die Darsteller zu überdecken.