Foto: Geteiltes Leben: Sam (Ronan Collett) und Dinah (Fanny Lustaud) in "Trouble in Tahiti" © Carl Brunn / Theater aachen
Text:Andreas Falentin, am 11. Februar 2019
„A Quiet Place“ ist so etwas wie Leonard Bernsteins spätes Schmerzenskind. Wie Wagner mit dem „Tannhäuser“ hatte der 1990 verstorbene Komponist und Dirigent offenbar lange das Gefühl, der Welt – oder eher den Vereinigten Staaten von Amerika – noch eine Oper schuldig zu sein. Und so knüpfte er an seinen ersten Versuch in dieser komplexen Kunstgattung an: „Trouble in Tahiti“, 1952 aufgeführt, geradezu die Anatomie einer Ehe, die sich totgelaufen hat und nur noch durch das aufrecht gehalten wird, was T.H.White in seinem Ex-Bestseller „Der König auf Camelot“ den „Sauerteig der Liebe“ nennt. In sieben Szenen wird diese Leere, werden diese ständigen Mikro-Fluchtversuche durchkonjugiert, unterbrochen von einer Art Radioterzett, dass die Scheinidylle verstärkt und gleichzeitig ironisch bloßlegt.
„A Quiet Place“ setzt 30 Jahre später ein. Dinah, die Ehefrau, ist bei einem Autounfall, später erfahren wir: durch Selbstmord, ums Leben gekommen. Auf der fürchterlich lauten und oberflächlichen Begräbnisfeier (ein fieses Vokalquartett spiegelt die Radiolieder aus dem frühen Stück) begegnen sich Sam, der Ehemann, sein Sohn Junior, seine Tochter Dede und ihr Mann Francois, die ein enges, verfahrenes Triebdreieck bilden. Am Ende beschließen die vier gegen alle Konflikte und Animositäten, eine Familie zu werden.
„A Quiet Place“ wurde 1983 uraufgeführt, mit „Trouble in Tahiti“ als Einleger, und viel krachend durch. Bernstein arbeitete um und erzielte 1987 in Wien zumindest einen Achtungserfolg. Aber das Stück setzte sich nicht durch. Bis Garth Edwin Sunderland, der Music Director des Bernstein Office, das Stück im Auftrag des Bernstein-Schülers und vor allem -Bewunderers Kent Nagano das Stück straffte und für Kammerorchester setzte. Jetzt wurde „A Quiet Place“ erfolgreich gespielt, konzertant 2015 in Berlin und Dortmund, danach szenisch unter anderem in Wien, Lübeck und Maastricht.
In Aachen wurde das Stück jetzt mit der, ebenfalls von Sunderland angefertigten, Kammerversion von „Trouble in Tahiti“ kombiniert, die, nach Bernsteins ursprünglicher Idee, zwischen die ersten beiden Akte gesetzt wurde, als eine Art Traum- und oder Trauma-Rückblende. Das Ergebnis der Operation überzeugt und begeistert auf fast jeder Ebene, auch wenn die Regisseurin Nina Russi und Aachen GMD Christopher Ward den wirren Beginn und die Längen am Schluss nicht vergessen machen können.
Mathis Neidhardt hat die Zimmer eines Wohnhauses auf die Bühne des Theaters Aachen gestellt. Wohn- und Schlafräume, Küche, Bad und Innenhof rotieren unablässig und verändern sich, nicht nur im Wechsel der Zeitebenen. Nina Russis Inszenierung lebt von der Personenführung und einem außergewöhnlichen Detailreichtum, der sich aber nie vor die Geschichte stellt, sondern sie ausdifferenziert und bereichert, um viele kleine, nie bedeutungslose und stets die Erzählung stützende Bilder und Gesten. Bemerkenswert phantasievoll und voll Funken sprühendem Witz ist etwa ihr Umgang mit dem Vokalterzett und -quartett, die hier wie ironische Vermittler auftreten und mehrmals mit großartigem Timing die szenischen Vorgänge plötzlich scharfstellen.
„A Quiet Place“ ist für Nina Russi offenbar nicht jener stille Garten, von dem Dinah träumt, sondern das Haus der Familie. Deshalb verortet sie auch „Trouble in Tahiti“, das von den Szenenanweisungen her in verschiedenen Orten spielt, ausschließlich innerhalb des Hauses – Magischer Realismus als Traumdeutung. Auch das funktioniert, weil Russi nie kneift, weil sie sich traut, Text und Musik kleinteilig auszudeuten und so das Geflecht von Trieben, Gefühlen, Gedanken und Sehnsüchten bloßzulegen, das die Verletzungen der Figuren herbeigeführt hat und sie in sich gefangen hält.
Und das wiederum kann nur gelingen, weil musikalisch fast alles stimmt an diesem Abend. Weil Christopher Ward und das Sinfonieorchester Aachen die Bühne mit Energie fluten, sie mit Eleganz umrahmen und gleichzeitig eine Wechselbeziehung mit dem dramatischen Geschehen etablieren. Dass das Orchester an wenigen Stellen ein wenig zu laut ist, fällt da kaum ins Gewicht. 15 Solisten verlangt das Stück vom kleinen Theater Aachen. Das Haus besetzt ohne Ausfall, kleine Rollen, etwa Ekaterina Chekmareva als extrem ausdrucksstarke Frau des Psychiaters, aus dem Opernchor. In den Hauptrollen überzeugen Wieland Satter als trauernder Ehemann mit ausladendem Bass-Bariton und beeindruckendem Spiel und Fabio Lesuisse, mit etwas flacher Stimme aber großer Beweglichkeit in jeder Hinsicht, als Sohn Junior. Überragend Patrick Cook als Ehemann, Ex-Geliebter und Schwiegersohn in „A Quiet Place“ und Fanny Lustaud als Dinah in „Trouble in Tahiti“. Bei beiden fließen musikalische Gestaltung, Präsenz und Spiel auf eine Weise zu intensiver Rollengestaltung zusammen, wie man sie selten erlebt. Und selbst die Anschläge von Viren und Bakterien werden cool gekontert. Evmorfia Metaxaki und Sebastiá Peris liehen Katharina Hagopian (Tochter) und Ronan Colett (Sam in „Trouble in Tahiti“) ihre Stimmen von der Seite, mit viel Klangfantasie und vor allem ohne szenischen Reibungsverlust. Was ein Abend!