Text:Joachim Lange, am 18. April 2011
Gerade hat der Brüsseler Opernintendant Peter de Caluwe beim jährlichen Ranking der deutschen Kritiker den Lorbeer für die beste Inszenierung des Jahres eingeheimst, da meldet sich das La Monnaie schon wieder mit einer nicht nur szenisch herausfordernden, sondern auch musikalisch fulminanten Produktion zu Wort. Diesmal ist es eine „Katja Kabanová“ von Janacek, die Regie-Ikone Andrea Breth, mit der ihr eigenen, von machen Künstlern gefürchteten und ihren Fans geliebten, Genauigkeit und Präzision inszeniert wurde. Nicht als Variante von sozialkritischem Bühnen-Realismus, sondern als Studie der inneren Zerrissenheit Katjas. Diese junge Kaufmannsfrau wird in der russischen (und überhaupt das Leben abschnürenden) Provinz nicht nur von einem besonders bösartigen Exemplar der sprichwörtlichen Schwiegermutter namens Kabanicha (Renée Morloc) drangsaliert. Sie ist obendrein von lauter männlichen Waschlappen umgeben. Ihr Ehemann Tichon (John Graham-Hall) lässt vor Mama nicht nur immer noch die Hosen runter, er pariert auch sonst aufs Wort, bis über die Grenze der Selbstachtung hinaus. Aber auch der ansehnlichere Boris (Kurt Streit), den sich diese Katja in einem verzweifelt ausbrechenden Akt der Leidenschaft im wahrsten Wortsinn einmal als Liebhaber „nimmt“, kommt nicht wirklich auf die Idee, Katja mitzunehmen oder seine Koffer wieder auszupacken, als man ihn nach ihrem Geständnis des „Fehltrittes“ mit ihm fort schickt. Dass hier alles auf eine Katastrophe hinausläuft, das hört und sieht man vom ersten Moment an.
Annette Murschetz hat der Breth nämlich einen von jenen postkatastrophischen Räumen gebaut, in denen sich überzeugend alp-träumen, dösig rumhängen, drangsalieren, Vergeblichkeit zelebrieren und sterben lässt. Es ist eine Art verwahrloster Innenraum, der in einen Gang mündet, mit Porträts von Gott weiß wem über den Flügeltüren. Er ist mal mit einem Kühlschrank, als metaphorischem Rückzugsort für Katja bestückt. Oder dann mit einer alten Badewanne, in der Katja von der Kindheit schwärmt und der Liebe, in der sie aber auch am Ende, mangels Wolga, mit aufgeschnittenen Pulsadern stirbt. In diesem Raum kann auch eine betörend hintergründige Poesie und Komik aufleuchten. Wenn sich die Frauen an einer Tafel vor einer angeleuchteten Regenwand zum gemeinsamen Essen versammeln, dann läuft die Detailfreude der Breth bei jedem Bissen, bei jedem Wegnicken zur Hochform auf. Und wenn es die robuste Kabanicha und der beleibte Dikoj (Pavlo Hunka), kurzerhand auf dem Tisch zu treiben versuchen und über ein Verheddern beim Senioren-Schinkenklopfen nicht hinauskommen, dann ist das von groteskem Witz.
Bei Andrea Breth werden alle realistischen Versatzstücke zu Teilen einer alptraumartig surreal ablaufenden Erinnerung Katjas an ihr Leben. Die dämmert, wie die Musik und Szene, aus dem völligen Dunkel auf und endet nach einer gespenstischen Totenmesse zwischen mit Kerzen bestückten Ölfässern mit dem abrupten Einschalten des Saallichtes. Zwischen diesen beiden Momenten fasziniert die Breth mit durchreflektiert atmosphärischer Sogwirkung.
Am Pult war Leon Hussain schlichtweg grandios beim Auflodern der Leidenschaft, beim Aufleuchten der Klangfarben, mit der präzisen Transparenz, dem atemberaubenden Sog und der Verschränkung des Ganzen mit der Szene. Und weil die Rückhaltlosigkeit, mit der sich Evelyn Herlitzius für diese Katja verausgabt, mit manch allzu lodernd herausgeschleudertem Ton versöhnt, wurde auch sie zu recht an der Spitze eines stimmlich, vor allem aber darstellerisch überzeugenden Ensembles gefeiert.