Foto: Jérome Varnier (Marcel) in Olivier Pys Inszenierung von Meyerbeers "Hugenotten" an der La-Monnaie-Oper in Brüssel © Clärchen und Matthias Baus
Text:Joachim Lange, am 16. Juni 2011
Dass die Grand opéra seit Wagners Lästerei in Verruf geraten ist („Wirkung ohne Ursache“), erspart uns heute das Eingeständnis, dass man ihre Schaustücke kaum so realisieren könnte, wie sie mal gedacht waren, nämlich als in jeder Hinsicht „große“ Oper. Denn um für die angestrebte Wirkung tatsächlich die geeignete „Urache“ zu bekommen, braucht man ein ganzes Ensemble von stilistisch versierten Spitzensängern, wie man es auch in einer Wagner-Oper nur ausnahmsweise einmal erlebt. Am La Monnaie in Brüssel aber ist Olivier Py, Mark Minkowski und einem grandiosen Ensemble jetzt genau das gelungen: aus einem einst populären Flaggschiff des Genres, Meyerbeers „Les Huguenots“, nicht nur ein großes, sondern in jeder Hinsicht großartiges Opernereignis zu machen.
Der Fünfakter im Götterdämmerungsformat verbindet Wagnerschen Größenwahn mit italienischem Belcanto- und Emotions-Furor, ist aber dennoch mit französischer Leichtigkeit aufgeschäumt, was bei Mark Minkowski alles zu seinem Recht kommt und dabei mit einem ganz eigenen Charme fasziniert. Dem großen historischen Gegenstand kommt zugute, dass die Rolle der Katholiken beim berüchtigten Gemetzel unter den Hugenotten in der Bartholomäusnacht 1572 heute nicht mehr geschönt werden muss. Olivier Py erweist sich in Pierre-André Weitz faszinierend wandlungsfähigen Treppen-, Palastfassaden- und Straßenbühnenbild nicht nur als bewährter Spezialist fürs Dunkle, sondern zieht auch wieder alle Register, um den sexuellen Obsession nachzuspüren, was eine handfeste erotische Sinnlichkeit einschließt. Ansonsten zelebriert er das Kreuz mit dem Kreuz, das durch eine Handbewegung zum Schwert wird, bis zum historisch verbürgten, nächtlichen Gemetzel.
Der klug dosierte Zeitmix von Rüstungen und Roben aus der Zeit Henri IV., der Frack- und Zylinder Mode der Entstehungszeit und nachgerüsteten Handfeuerwaffen von heute verweist auf die ungelöste Frage nach rechtem Glauben und Toleranz, die verhandelt wird. Dabei wahrt Py erstaunlich sicher die Balance von zentraler Lovestory zwischen dem Hugenotten-Aktivisten Raoul (grandios mit Steigerung: Eric Cuttler) und der Tochter des Katholikenführers Valentine (eindringlich: Mireille Delunsch) und dem Widerstreit der religiösen Fanatiker auf beiden Seiten. Hier steht Raouls Diener Marcel mit seinem immer wieder bemühten „Eine feste Burg ist unser Gott“ ebenso bassmächtig für die Hugenotten wie sein Haudrauf Kollege von der anderen Seite Saint-Bris, dessen Fanatismus am Ende sogar seine Tochter zum Opfer fällt. Das exzellente Ensemble führt die in jeder Hinsicht verführerische Marlis Petersen als Marguerite an, während die 21jähren Russin Yulia Lezhneva (als Page Urbain) auch noch eine Entdeckung liefert. In Brüssel also: große Wirkung mit viel Ursache!