Foto: Miriam Clark in der Titelpartie von Bellinis "Norma" mit Geroge Oniani als Pollione/Flavio Briatore. © Thilo Beu
Text:Detlef Brandenburg, am 29. Oktober 2012
Oh je, eine Ansage – und das bei Bellinis „Norma“, wo doch zumindest die drei Hauptpartien derart heikel sind, dass selbst gesunde Sänger ihre liebe Not damit bekommen können. Aber was ist das eigentlich für ein reißerisch daherschwadronierender Entertainertyp, der da am Bonner Opernhaus zu Beginn der Premiere vor den Vorhang tritt? Im schwarzen Glanzanzug, arg eingenommen von sich, legt er uns verblüfften Zuschauern „unsere Casta Diva“ ans Herz, „die neue Oberpriesterin der Kunstreligion!“, die er ganz groß herausbringen will. Und dann, statt der Ouvertüre, beginnt diese „Oberpriesterin“ den Abend doch tatsächlich gleich mit dem berühmtesten Arienhit des Werks, eben mit „Casta diva“. Also doch keine Ansage, sondern ein Regieeinfall. Oh je!
Florian Lutz hat sich diesen Impresario ausgedacht, damit der sich eine ziemlich blöde Inszenierung von Bellinis „Norma“ ausdenken kann. Als er, inzwischen eine dicke Zigarre paffend (Männer, die gern dick auftragen, müssen bei Regisseuren, die gern dick auftragen, ja manchmal dicke Zigarren paffen), den Vorhang hochkommandiert, ist die Bühne erst mal leer, nur die Beleuchtungs-Züge sind heruntergefahren. Dann aber wird nach einem Geplänkel mit dem Inspizienten der gallische Wald hereingefahren, in den sich aus nicht völlig erfindlichen Gründen auch eine ausgewachsene Giraffe verlaufen hat. Und dann lässt dieser Opern-Striese die komplette Besatzung aus jenem gallischen Küstendorf aufmarschieren, dem René Goscinny und Albert Uderzo ein unsterbliches Denkmal gesetzt haben: Asterix, Obelix mit Hinkelstein, Idefix (eine stumme Rolle), Troubadix und wie sie alle heißen, und Miraculix schlüpft in die Rolle des Oroveso. Die Handlung der „Norma“ spielt ja tatsächlich im römisch besetzten Gallien, Mistelzweige werden hier wie dort geschnitten. Und so brachte es diese Parallele vor Jahren schon einmal zum Einleitungsgag im Booklet zu Riccardo Mutis „Norma“-Einspielung beim Florentiner _Maggio Musicale_ 1995. Florian Lutz aber macht nun aus diesem Gag ein Regiekonzept.
Oder nein – er macht daraus das Regiekonzept seines Impresarios, den der Schauspieler Roland Silbernagl als derart eitlen Unsympathen auf die Bretter chargiert, dass er die zunehmend wütenderen Buh- und „Aufhören!“-Rufe der Zuschauer fast schon wieder als Kompliment nehmen könnte. Wenn es nur nicht auch andere Gründe für diese Rufe gäbe. Denn indem dieser Theatermarktschreier den Lauf der Aufführung immer wieder unterbricht, um seine widerspenstige Diva zur Räson zu bringen oder um die Zuschauer über die Essentials der Handlung zu unterrichten (Risorgimento, moralische Anstalt, das ganze Programm), ramponiert er auch die empfindlichen Spannungsbögen von Bellinis Musik. Und wenn dann „Casta diva“ zum zweiten Mal kommt, nun da, wo es auch hingehört, während der Druidenkessel dampft und der Zaubertrank verabreicht wird (nein, Obelix bekommt nichts) – dann trägt auch das nicht unbedingt dazu bei, die psychologischen und musikalischen Feinheiten dieser Musik zur Entfaltung zu bringen.
Mit anderen Worten: Mann kann schon verstehen, dass einige Zuschauer sich ärgern, denn über eine ganze Strecke sieht Florian Lutz’ Inszenierung im Bühnenbild von Martin Kukulies und den Kostümen von Mechthild Feuerstein wirklich so aus wie ein schlechter Regiestudentenwitz. Dass hinter dem Witz ein Strukturprinzip zur Dekonstruktion der „Norma“-Handlung steckt, kapiert man erst nach und nach. Denn Lutz’ Inszenierung hat ja noch eine zweite Ebene, und die spielt da, wo der Impresario herkommt: backstage. Hier ist Norma eine Operndiva, deren Privatprobleme mit ihrem Liebhaber zunehmend ihrer Sängerkarriere in die Quere kommen. Ihre Konkurrentin ist – natürlich! – die Sängerin der Adalgisa, die ihr den Liebhaber ausspannt und ihr am Ende auch noch die Rolle der Norma streitig macht.
Lutz also braucht seinen Impresario (und einige kräftige Striche), damit er die „Norma“-Handlung in ein privates Liebesdrama umfunktionieren und in unsere unmittelbare Gegenwart projizieren kann. Die politischen und kriegerischen Szenen, also vor allem die großen Ensembles, kann er so umstandslos seinem Impresario in die Schuhe schieben, damit der sie als Asterix-und-Obelix-Parodie verjuxt. Die Privatszenen dagegen spielt Lutz in ausgefeiltem Psycho-Realismus in der Graderobe hinter der Bühne, wo sich das Eifersuchtsdrama zuspitzt. Damit freilich nimmt er nicht nur etliche musikalische Blessuren, sondern auch logische Brüche in Kauf. Dass der Sänger des Pollione hinter der Bühne zwar ebenfalls den Liebhaber beider Diven spielt, dabei aber eben nicht als Sänger, sondern als „Flavio Briatore“ firmieren muss, als jener Playboy und Formel-1-Tycoon also, der durch seine Affäre mit Heidi Klum zum Helden der bunten Blätter avancierte, ist nur einer der krassesten (und ziemlich an den Haaren herbeigezogen). Zudem nimmt die Privatisierung des Liebesdramas den Figuren einiges an Fallhöhe, die Lutz dann allerdings der Hauptfigur auf spektakuläre Weise zurückerstattet. Was bei Bellini in einer großen Versöhnungsgeste der Norma endet, das biegt Lutz um in eine Rache-Intrige. Und als die Priestern dabei wirklich zur Medea wird und dem entsetzten Pollione/Briatore ihre blutig gemordeten Kinder präsentiert – da hat die Hauptfigur, im irren Lachen über die gelungene Rache sich verausgabend, eine Größe, die dem Original doch wieder nahekommt (wobei natürlich auch das dem Versöhnungspathos der Musik Hohn spricht).
Dass die Sänger hier teilweise gegen den unmittelbaren Sinn der Musik singen müssen, war spürbar. Miriam Clark in der Titelpartie wirkte erst ab der zweiten Strophe des „Casta diva“-Cantabiles wirklich frei – fand dann aber zu einer eindrucksvollen Interpretation. Ihre Stimme ist in der Mittellage satt und dunkel timbriert, sie wirkt größer, als die Partie es fordert. Doch gerade darum hat sie wertvolle Gestaltungsreserven. Wie sie diese Stimme je länger, je schöner mit gertenschlanker Biegsamkeit und leuchtender, linienklarer Höhe durch alle Komplikationen führte und zu hinreißender Ausdruckskraft aufblühen ließ, war eine Freude. Dass sie aber in Nadja Stefanoff (als Gast aus dem Ensemble des Theaters Bremen) eine ebenbürtige Partnerin als Adalgisa hatte, von schlankerem, dabei aber expressiv glühendem Stimmcharakter, die mit ihr zudem perfekt harmonierte, war ein seltener Glücksfall. George Oniani sang den Pollione/Briatore mit leuchtendem, bolzengerade durchsetzungsfähigem Tenor, fand im Laufe des Abends auch zu flexiblerer Tongebung. Und Ramas Chikviladze gab dem hier szenisch arg unterspielten Oroveso dunkle Seriosität.
Robin Engelen schließlich dirigierte diese feinnervige Musik mit schlanker Hochgespanntheit in den dramatischen Passagen und einer atmenden Tempogestaltung in den lyrisch weitgespannten Melodien, die zwischen agogischer Nachgiebigkeit und metrischer Strenge ein geradezu ideales Maß hielt. Chor und Orchester waren trotz turbulenter Rahmenbedingungen sehr konzentriert bei der Sache, und so war am Ende die Begeisterung für das musikalische Ensemble ungeteilt, das Regieteam dagegen musste einen Orkan aus Buhs und Bravos über sich ergehen lassen. Woran man sieht: Die Oper lebt in Bonn – solange sie die Bonner Politiker nicht sterben lassen. Die allerdings sind bereits am Werk. Während der Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch der Nachbarstadt Köln die Oper zur Fusion anempfiehlt (was dort auf wenig Gegenliebe stößt), wollen ihr die Bonner Piraten per Bürgerbegehren die Zuschüsse gleich ganz abdrehen. Auch dagegen übrigens wetterte Lutz’ Impresario. Ob der mit seiner Asterixiade der ideale Gewährsmann höherer Theaterkunst in Bonn ist, sei dahingestellt.