Flankiert von einem kämpferisch auftrumpfenden Chor werden die sieben Sängerinnen und Sängern zu Sprachrohren jener Menschen, die die Regisseurin im Vorfeld für ihre Oper interviewt hat. Da beklagen Tenor Marius Pallesen als Politiker die politische Instrumentalisierung des Wolfsthemas und Sopranistin Cornelia Zink als Schäferin die hohen Kosten für Stromzäune und Herdenschutzhunde. Da fordern Mezzosopranistin Itziar Lesaka als Biologin und Bariton Martin Gerke als Jäger ein „vernünftiges Wolfsmanagement“, während Gastsänger Nicholas Isherwood als Lonely Wolf mit grauer Mähne und wolfsschluchttiefem Bass die Unzähmbarkeit des Urviechs schon allein durch seine äußere Erscheinung betont. Stimmliches Glanzlicht am Abend der Uraufführung ist Koloratursopranistin Morgane Heyse, die als Aktivistin nach ihrem Tod von Wölfen gefressen werden möchte und entsprechend inbrünstig das Heulen der von ihr angebeteten Tiere imitiert.
Perspektivwechsel
Das Mecklenburgische Staatsorchester unter der Leitung von Eckehard Stier erweist sich dabei als kongenialer Ausdeuter einer Partitur, die das spannungsgeladene Thema mit vielschichtig verwobenen, reibungsvollen Klängen und Clustern untermalt. Ruhepunkte im Andrang der Streicher, Bläser und Stimmen (wenn etwa Vibrafon, Röhrenglocken und elektronische Einspielungen die naturmystische Seite des Wolfs betonen) sind selten.
Ein wahrhaft orgiastischer Tanz heidnisch geschmückter Wolfsverehrer entfaltet sich, nachdem Tenor Markus Sung-Keun Park als Weltenwechsler einen Teil des Publikums über die Brücke in den „Wald“ holt, um dort von der Tribüne aus die Perspektive der Wölfe einzunehmen. Die rhythmische Ekstase erinnert hier an Strawinskys „Le Sacre du printemps“ und steht ganz im Gegensatz zur braven Schüchternheit, mit der der Kinderchor im Rotkäppchenkostüm zuvor seine eingetrichterte Verhaltensregel repetiert: „Ich komme nie vom Weg ab. Ich gehe immer geradeaus. Das ist der beste Schutz.“
Das breite Geflecht von Stimmen und Standpunkten, das Tulves erste Oper aufspannt, gibt einen guten Einblick in ein Thema, das die Gesellschaft spaltet. Während man auf dem Land die Schafsherden und sogar die eigenen Kinder durch den Wolf zunehmend bedroht sieht, betonen Menschen, die in sicherer Entfernung – etwa in der Stadt – leben, eher den Nutzen des Raubtiers für das ökologische Gleichgewicht. Diesen Konflikt hat der Zuschauer jedoch schnell begriffen. Aufgrund spärlicher textlicher und musikalischer Entwicklung sowie harter Sitzbänke wäre gegen eine Verkürzung dieses im Ganzen gelungenen 90-minütigen Wolfsopernexperiments nichts einzuwenden gewesen.