Angst vor der Veränderung
Denn Renate ist fix und fertig mit ihrer Biografie, klammert sich an das Erreichte („Ich will nichts anderes“) und versteckt ihre Unsicherheit unter zickig forschem Auftreten. Eigentlich könnte sie ja stolz sein. Ist emanzipierte Inhaberin einer Fahrschule und alleinerziehende Mutter einer schlauen, neugierig nervösen, rotzig-trotzig herzlichen Tochter (Johanna Graen). Die will in einer Forschungsstation im polaren Eis arbeiten. Die Mutter versucht, das zu verhindern – kann nicht loslassen. Auch nicht zulassen, dass ein sehr netter, sehr biederer Polizist (Alexander Wilß) sie liebt.
Und die Fahrschüler, ein männlicher Pausenclown-Chor, erinnern Renate daran, nicht nur in ihrer Mutterrolle, auch als Fahrlehrerin überflüssig zu werden, weil sich bald alle Autos autonom fortbewegen. Dagegen predigt die Protagonistin umso besessener StVO-konformes Verhalten, sodass die Jungs, wenn mal was Unvorhergesehenes passiert, hechelnd oder schluchzend die Lebenspanik ihrer Lehrerin spiegeln.
In diese Stressgemengelage platzt nun „Sie“, ist nicht ein- sondern übergriffig und ermuntert die Tochter zum Ausziehen, lockt auch den Polizisten mit einem Käseigel zum Rendezvous mit der zunehmend verstörten Renate. Das potenziert das abgrundtiefe Unbehagen, ja, die Angst vor Veränderungen, dem Ungewissen. Es brodelt das Grauen, das unsere Fantasie hinter Was-wäre-wenn-Gedanken vermutet. Es regiert der Horror überall lauernder Unsicherheit. Ein klassisches Psychothriller-Motiv und eine Vorstellung von Kontrollverlust, die wohl jeder kennt und daher sofort mitfiebern kann.
Als Opfer der bösen „Sie“ ist Renate die Identifikationsfigur im heldenhaften Kampf gegen die dramatische Bedrohung des Althergebrachten. Das macht die Spannung, den Nervenkitzel des Stücks aus. Überhaupt scheint die Autorin einer Schreibanleitung fürs Thriller-Genre zu folgen. Das Verbrechen, der Unfall, ist Auslöser der Handlung. Die Antagonistin rätselhaft, gewiefter und stärker als die Protagonistin. „Sie“ kontrolliert plötzlich Renates Leben und kommentiert es am Piano. Ein Machtspiel startet.
Hoffnung auf Neuorientierung
Das mit der herausgeforderten Neuorientierung ist natürlich schwierig. Nach dem 30. Geburtstag passiere nicht mehr viel in Sachen Persönlichkeitsentwicklung, heißt es in der Psychologie. Die einen nennen das Stabilität, andere Stagnation. Aber wer wolle, der könne noch korrigieren, modifizieren, Richtungswechsel vornehmen, sich auf neue soziale Rollen einlassen. Denn der Wille zur Veränderung werde Tat, wenn das Hirn mit Befriedigung persönlicher Bedürfnisse rechne, behaupten Hirnforscher.
Also los: Renate öffnet mal ihren Haardutt, küsst den Polizisten und lockt ihn Backstage. Es läuft aber wohl nicht so gut. Kauert sie doch kurze Zeit später heulend am Boden. Aber am Ende siegt doch die Hoffnung. Renate setzt sich ins Auto, spielt mit der Kupplung, findet den titelsymbolischen Schleifpunkt, der Wagen vibriert und während das Licht verlöscht, können wir uns vorstellen, wie die Heldin in ihr neues, unbekanntes Leben rollt. Auch wenn sie dabei die Geschwindigkeitsbegrenzung noch deutlich unterschreitet.
Entstanden ist das Mutmacher-Stück im Schweizer Dramenprozessor 2018/19, einem einjährigen Förder- und Ausbildungsprogramm für szenisches Schreiben. Eingeladen war es zu den „Autor:innentheatertagen 2020“ in Berlin. Maria Ursprung hat die Dialoge der sich gegeneinander ausspielenden Figuren in lakonisch geschärftem Alltagsjargon sehr übersichtlich formuliert. Das ist in der Zeichnung eines in alten Gewissheiten verbarrikadierten Lebens genauso wenig tiefenscharf wie in der Ausleuchtung der Mutter-Tochter-Beziehung.
Kirsten Potthoff aber gestaltet den inneren Kampf, das Ringen um Haltung und die Entwicklung der Protagonistin recht eindrucksvoll. Das Stück wirkt in der psychorealistisch genauen, den Humor und die eher surrealen Eskalationen der Vorlage eher meidenden Regie von Intendantin Katharina Kreuzhage wie eine handwerklich solide Fingerübung. Freundliche Zustimmung im sehr lückenhaft besetzten Parkett.