Foto: Szene aus "Fatima" © Beata Spychalska
Text:Saskia Burzynski, am 11. März 2017
Im Gegensatz zur deutschsprachigen Erstaufführung des Stücks „Fatima“ von Atiha Sen Gupta am Jungen Schauspiel Hannover, bei der ein Fernsehset als Bühnenbild diente, entscheidet sich die Regisseurin Patricia Hachtel am Theater Zittau hinterm Vorhang für eine eher spartanisch ausgestattete Bühne. Lediglich eine schwarze Wand, in der fünf Türen versteckt sind und eine Anzahl von schwarzen Blöcken, die als Tanzfläche oder Schulbank eingesetzt werden, stellen den Rahmen des Stückes dar.
Diese fünf Türen öffnen sich, Jugendliche stürmen nach den Sommerferien in ihr Klassenzimmer, doch eine Mitschülerin fehlt zunächst: Fatima. Fatima, die wenig später erstmals und für die anderen völlig unerwartet mit Kopftuch zur Schule kommt. Diese Neuigkeit trifft auf Empörung, Angst, Wut, (Un-)verständnis, Abneigung. Alles Gefühle, die den weiteren Verlauf des Stückes dominieren sollen. Wie im Stück vorgesehen, zeigt Patricia Hachtel Fatima nie wirklich physisch. Die Titelheldin bleibt bloßes Phantom, der Konflikt um sie wird durch ihre Abwesenheit nur verstärkt. Sowohl ihre Mitschüler als auch das Publikum wird den Abend über vor allem eine Frage beschäftigen: Warum trägt Fatima plötzlich ein Kopftuch? Diese Frage bleibt unbeantwortet, es bleibt reine Spekulation. Die Antwort ist letztlich aber auch irrelevant. Entscheidend ist, was Fatimas Entschluss, ein Kopftuch zu tragen, auslöst. Und das stellen die Schauspieler des TheaterJugendClubs (und zwei Schauspielerinnen des Ensembles) trotz oft zu rasantem Tempo und manchmal unkoordiniert und rastlos wirkenden Szenen insgesamt anschaulich, spannend und schauspielerisch gut umgesetzt dar.
Zahlreiche Stimmen zum WARUM werden eingeholt: Da ist Georg, der Freund Fatimas, der sich die Frage stellt, ob es seine Schuld sei, ob er etwas falsch gemacht habe, das Fatima dazu veranlasst hat, ein Kopftuch zu tragen. Und Georgs Vermutung, dass Fatima einen Moslem getroffen hat, der sie davon überzeugt hat. Fred, der Coole in der Klasse, der das Tragen des Kopftuchs als Suche nach sich selbst bezeichnet und Georg klarmacht, dass er Fatima nicht vorschreiben kann, was sie trägt. Aishas Vorschlag, einfach so zu tun, als würde Fatima kein Kopftuch tragen, in der Hoffnung, dass sie es so wieder abnimmt. Da ist die Mutter von Fatima und Mohammed, Fatimas Zwillingsbruder, die als aufgeklärte, selbstbestimmte, rauchende Frau gezeigt wird. Sie begegnet Fatima mit völligem Unverständnis und Intoleranz und droht, sie an ihrem 18. Geburtstag rauszuschmeißen. Mohammed, der von allen noch am tolerantesten und am meisten erwachsen wirkt. Er respektiert Fatimas Entscheidung ohne ihre Beweggründe zu kennen oder zu verstehen und besänftigt die Mutter.
Alle nehmen sie die Tatsache, dass Fatima ein Kopftuch trägt, was in ihrer Vorstellung gleichzusetzen ist mit dem Bild einer unterdrückten Frau, persönlich. Sie fühlen sich angegriffen, von Fatima verarscht. Keiner sieht darin einen selbstbestimmten Akt, eine freie Entscheidung Fatimas, die es zu respektieren und tolerieren gilt. „Du machst die Probleme in deinem Kopf“, sagt Mohammed zu seiner Mutter. Und damit hat er Recht. Die Angst, die das Kopftuch in der Klasse auslöst, entsteht in den Köpfen. Sie ist unbegründet, haltlos. Wo Fatima selbst gar kein Problem sieht, machen die anderen Fatimas Entscheidung zu einem kollektiven Problem in der Klasse. Aisha fragt die Mitschüler, wer sich denn überhaupt wohl fühle mit einer Frau, die ein Kopftuch trägt – wer denn da keine Angst bekäme. Fatima – die einstige Freundin Fatima – löst nun neben Empörung und Wut vor allem Angst aus. Und das nur aus einem Grund: dem Kopftuch. Das Kopftuch macht sie für die übrigen zu einem neuen, einem anderen Menschen. Einem Menschen, der keinen Respekt mehr verdient. Georg treibt diese Respektlosigkeit auf die Spitze. Seine Angst, sein Unverständnis, seine eigene Hilflosigkeit treiben ihn dazu, Fatima das Tuch vom Kopf zu reißen. Fatima zeigt Georg wegen rassistischer Vorwürfe in der Schule an und dreht so den Spieß um: Das Kopftuch, das in den Augen der Mitschüler vor allem Unbestimmtheit und Unterdrückung vor dem Mann darstellt, ein Symbol, das der Mann der Frau aufdrängt, führt nun dazu, dass die Frau (Fatima) den Mann (Georg) in der Hand hat. Durch diese Anklage kann sie entscheiden über Georgs weitere schulische Laufbahn, der zum Ende des Stücks die Schule tatsächlich verlassen muss. Er scheint nichts gelernt zu haben, denn auf einer Party, bei der alle sich verkleiden, kommt er als Hitler verkleidet.
Das Gift des Rassismus durchdringt die Klasse nach und nach. Keiner stellt sich die Frage, ob Fatima nicht einfach freiwillig, vollkommen selbstbestimmt und ohne religiöse Motivation ein Kopftuch trägt. Das Kopftuch dient für alle nur als Quelle des Rassismus – als Ursache aufgrund von Anderssein oder anders aussehen beurteilt zu werden.
Gerade in heutigen Zeiten liefert „Fatima“ viel Stoff zum Nachdenken, zum Hinterfragen von Vorurteilen. Und das auf simple, leicht verständliche, oft erfrischend politisch inkorrekte und aussagekräftige Weise. Wie ein Spiegel, der uns vorgehalten wird und uns zeigt, dass wir manchmal vielleicht etwas zu schnell sind in unseren Urteilen.