Foto: Sebastian Rudolph und Philipp Hochmair in Nicolas Stemanns „Faust“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen. © Arno Declair
Text:Tobias Gerosa, am 29. Juli 2011
„Faust 1“ sehr konzentriert, wenn auch mit (weitgehend) aufgelösten Rollen, „Faust 2“ ein stilistisches Konglomerat von ganz unterschiedlichem Ausarbeitungsgrad: Der „Faust“-Marathon, den Nicolas Stemann bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne der Perner-Insel wuchtet, versucht keinen einheitlichen Bogen zu schlagen, sondern betont die Brüchigkeit der Konstruktion und zeigt dabei, wie eben diese Brüchigkeit doch alles zu umspannen versucht.
Am Anfang ist Genuschel: Wie beim ersten Lesen murmelt Sebastian Rudolph die Zueignung ins gelbe Reclam-Bändchen, bevor er im Vorspiel und dem Prolog gleich alle Rollen übernimmt. Nicht nur die rote Leuchtschrift, die immer die Szenen angibt, macht klar, dass hier Theater gespielt wird, und dass man keineswegs zu wissen vorgibt, sondern einen Text erforscht – mal als Hörspiel, mal als Monolog, mal Vers für Vers und mal ganz frei und am Schluss gar nur als Leuchtschrift; lang ganz karg und konzentriert und dann immer wilder und überfüllter und in einen albernen Gospel-Chor mündend. Regieanweisungen werden gesprochen und der Regisseur, der das Publikum auch über den Ablauf informiert, wuselt Anweisungen gebend mit über die Bühne: Der Superklassiker als Work in Progress.
Doch für der Tragödie ersten Teil reichen Stemann drei hervorragende Darsteller auf leerer Bühne. Rudolph bestreitet die erste Stunde ganz allein. Wenn dann für die restlichen gut anderthalb Stunden Philipp Hochmair und Patrycia Ziolkowska dazukommen, sind sie auch Faust und auch Mephisto und auch Gretchen. „Faust I“ als Monolog und Faust in Doppelung und Trippelung: Das funktioniert so gespielt und gesprochen erstaunlich gut – und erstaunlich unterhaltsam. Die Videoprojektionen sind dabei so wenig zwingend wie der Tänzer (Franz Rogowski) und die Mezzosopranistin (Friederike Harmsen), sie ergänzen aber das Bild eines Panoptikums.
Auch der zweite Teil beginnt mit einer Distanzierung. Barbara Nüsse stellt sich als Goethe, den Autor „dieses grossartigsten Texts deutscher Sprache“, vor und droht, wie nach ihr diverse Mephisto-Figuren, damit, dass „ungestrichen“ alle 12110 Verse gespielt werden – ja werden müssen, um die Intentionen des Stücks klar zu machen. Was dann folgt, ist allerdings zuerst näher an einer aktualisierenden Revue als an sklavischer Textabarbeitung, in die der tatterig-senile „Postdramatiker Goethe“ (Hochmair: „Ich war dabei, als einst Klassiker mit Video kombiniert wurden!“) ebenso Platz findet wie Seitenhiebe auf die Festspiele und ihre Hofdichter.
Die Geldszene dreht Josef Ostendorf zur holzhammerartigen Wirtschaftskritik (inklusive dem vorgesehenen und dann ausgeladenen Eröffnungsredner Jean Ziegler) mit Protestchor und Sponsorenlogs. Homunculus ist ein junger Mensch auf der Suche nach seiner Herkunft und seinem Ziel – kein Kunstmännchen, sondern eine weitere Verkörperung von Fausts Grundproblem. Soviel ist (auch von den hintern Reihen) erkennbar, sonst lösen sich diese ersten zwei Akte des zweiten Teils immer mehr im Gewusel von Statisten und bizarren Puppen von „Das Helmi“ (und eben: dem Regisseur) auf. Die Verwirrung ist sicher Programm, gleichwohl wirkt die Inszenierung hier noch wie eine relativ frühe Probe.
Groß dann der Bruch zum Helena-Akt, der trotz modernem Kinderspielplatz für Euphorion klassisch, ja ziemlich brav exekutiert wird (Rudolph und Ziolkowska), bevor im letzten Teil nochmals die ganze Bildphantasie entfaltet und auf Videos mit Vorträgen über Faust und comicartige Live-Bebilderung ausgeweitet und – ja, hier jetzt schon – auch ausgewalzt wird, so dass man auf den zwar neu gepolsterten, aber doch harten Bänken die acht Stunden Sitzen doch zu spüren beginnt. Relativ spät allerdings. So problematisch vieles ist, je länger die Vorstellung dauert: Der offene Umgang macht deutlich, dass „Faust II“ nicht zu bewältigen ist. Warum also nicht so?