Foto: Ensembleszene aus "Treibgut", einem Choreografischen Musiktheater. © Hermann Posch
Text:Manfred Jahnke, am 2. Juli 2016
Wenn die Strömung reißend wird, treiben Baumstämme und Müll auf den Wellen, Treibgut eben, das mal rasend, mal langsam schwerfällig gegen Wehrdämme, Ufer oder Schiffe prallt. Dieses Fließen versucht Alexander Balanescu in seiner Komposition „Treibgut“ festzuhalten, die er im Auftrag für das Theater Ulm und dem „10. Internationalen Donaufest Ulm/Neu-Ulm“, ein Festival das sonst durch Abwesendheit großer theatralischer Formate glänzt, schrieb. Mit der Zuschreibung des Fließens auf einen Fluß, die Donau, wird zugleich die Geschichte eines ganzen geografischen Raums mit seinen Kriegen und Flüchtlingsströmen zwingend. Als „choreografisches Musiktheater“ entwickelt Balanescu „Treibgut“ aus dem Wechsel zwischen melodisch-ruhigen Tönen, in denen die Violine dominiert, und aggressiven, lauten Passagen, in denen schon bildhafte Bewegungen eingeschrieben sind. Vor allen Dingen arbeitet er immer wieder mit dem Bild des Stauwehrs, das das Wasser nur halten kann, solange es nicht überläuft und seine destruktive Kraft zeigt.
Balanescu, in Rumänien geboren, ist als Komponist bekannt für seine Film- und Tanztheatermusiken, u.a. für Pina Bausch. Er teilt seine Komposition in vier „Blöcke“ auf, in denen Massen agieren, und drei „Interludes“, in denen eher von Einzelschicksalen erzählt wird. Auch der Komponist tritt selbst auf, um von der Brüchigkeit seiner Identität zu berichten. Vor einer Wand, die an eine Staumauer erinnert, entwickelt Roberto Scafati eine Massenchoreografie, die den ständig sich durch Hubpodien verändernden Spielraum nutzt. Einen Höhepunkt stellt eine Szene dar, in der das Ensemble auf dem Boden eines herabgefahrenen Podiums sich wälzt, was im Abbild der Live-Video-Projektion auf die Wand sich wie die Bewegung von Wasserflöhen erscheint. Scafati genießt es darüber hinaus, bei den Massenszenen ein 18köpfiges Tanzensemble bewegen zu können, konnte er doch sein Ensemble durch Tänzer und Tänzerinnen aus verschiedenen Donauländern ergänzen. Eingerahmt wird dieser Tanzaktionsraum am linken Portal durch die Positionierung des „The Balanescu Quartet“, auf der linken Seite durch die von Akkordeon und Zymbal, die als traditionelle Instrumente immer wieder das „Fließen“ akzentuieren helfen und auch für melodische Harmonie sorgen. Im Orchestergraben dirigiert Hendrik Haas, zusammen mit Balanescu musikalischer Leiter des Abends, das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm. Zudem singt der Chor unsichtbar, so dass für mich das Bild entstand, eigentlich in einer Kathedrale zu sein. Unterbrochen wird diese Stimmung immer wieder durch ein clownesk agierendes Paar, Maria Rosendorfsky als stets in grünes Licht getauchte Großmutter-Donau-Hexe und Thorsten Sigurdsson als Baby im Kinderwagen im Pink strahlenden Scheinwerfer. Sie singen dabei englische und deutsche Kinderlieder, z.B. „Wenn ich ein Vöglein wär“. Dramaturgisch bleiben diese Szenen läppisch.
Alles zusammen hat Matthias Kaiser (Regie) im Bühnenbild von Marianne Hollenstein arrangiert, mit meist dunklen, oft sehr bläulichen Lichteinstellungen und Videoprojektionen wie z.B. vom fließenden Wasser an einem Wehr. Zudem wird die Geschichte vom Fließen am Anfang und Ende bildlich eingerahmt. Zu Beginn des Abends erscheint ein kleiner weißer Punkt auf der Leinwand, der ständiger größer wird und zu rotieren beginnt. Er verwandelt sich in einen Globus, zunächst umgeben von einer Iris, dann als großer Globus, der merkwürdigerweise nur die südliche Seite der Welt zeigt. Am Ende wird dieses Bild wieder aufgegriffen, dazu wird eine große Wand herabgefahren. Insgesamt erscheint „Treibgut“ als kleines Spektakel, das seine größten Wirkungen in den von Scafati choreografierten Massenszenen hat.