Bei seinem Antritt als Intendant des Schauspiels Stuttgart kündigte Burkhard C. Kosminski zu Beginn dieser Spielzeit die Gründung eines internationalen Europa-Ensembles unter der Leitung von Oliver Frljic mit jeweils zwei Darstellern vom Nowy Teatr aus Warschau, vom Zagreb Youth Theatre und vom Staatstheater Stuttgart an. Und nun hatte das erste Projekt der Gruppe Premiere. In „Imaginary Europe“ verbinden sich Texte von Peter Weiss, Walter Benjamin oder Heiner Müller mit biographischen Geschichten der Schauspielerinnen und Schauspielern zu einer trashigen Revue von hoher Theatralität. Wobei Provokationen nicht fehlen dürfen: Über weite Strecken agieren die Akteure nackt. Das tun sie in einer solchen Selbstverständlichkeit, dass die Blöße kaum als solche wahrgenommen wird. Provokanter wirkt da schon, wie das Abbild des gekreuzigten Jesus ins Spiel gebracht und als Kommentator gegenwärtiger gesellschaftlicher Verwerfungen benutzt wird.
„Imaginary Europe“ führt die Stärken der Frljic’schen Ästhetik vor: grandiose Bilder, eine selbstreflexive Fähigkeit zur Selbstironie, manchmal im bilderbuchhaften Trash, wenn Adrian Pezdirc als Entertainer mit der Pappkrone auftritt, manchmal auch bloß als kabarettistische Einlage. Aber eines steht immer im Zentrum: das Spielen selbst. Es gelingt der Regie, Spielenergien des Ensembles nicht nur frei zu setzen, sondern auch zu bündeln. Claudia Korneev, Tina Orlandini, Tenzin Kolsch, Adrian Pezdirc, Jan Sobolewski und insbesondere Jasmina Polak überzeugen durch ihr Engagement. Ihre Fähigkeit, mit dem Plunder, der an den Seiten liegt, herumzuspielen, in Strapsen und abgerissenen Nylonstrümpfen aufzutreten (Kostüme: Sandra Dekanic) und dabei direkt mit dem Publikum zu kommunizieren; das wirkt so leicht wie gekonnt.