Foto: Ensembleszene © Andreas Pohlmann
Text:Stefan Keim, am 2. Juni 2014
Vor fünf Jahren hatte das erste Stück Nis-Momme Stockmanns Uraufführung. „Der Mann, der die Welt aß“ wurde an vielen Bühnen gespielt. Seitdem hat Stockmann mindestens zwei Theatertexte pro Jahr herausgebracht, der 32-Jährige zählt längst zu den etablierten Dramatikern. Sein neues Werk „Phosporos“ ist ein Auftragswerk des Residenztheaters München, die Premiere kam im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen heraus.
Ein Orkan entsteht, ein Jahrhundertsturm, der Häuser, Autos und Menschen wegfegen wird. Die Schauspieler sitzen in der ersten Reihe mit dem Rücken zum Publikum. Chorisch sprechen sie meteorologische Ereignisse. Das neunköpfige Ensemble bleibt während der gesamten dreistündigen Aufführung im Raum. Wer nicht spielt, schaut den Kollegen zu. Manche verkörpern zwei oder drei Rollen. Autor Nis-Momme Stockmann bringt in seinem Stück „Phosphoros“ ein großes Personal auf die Bühne. Zentrale Figur ist der Physikprofessor Lew Katz, der verstehen will, was die Welt im Innersten zusammen hält. Seine Studenten will er zu mitdenkenden Partnern machen. Der Schauspieler August Zirner hält seine Vorträge frontal vor dem Publikum, ein glühender, charismatischer Forscher. Privat zeigt er ganz andere Seiten. Er bildet sich eine tödliche Krankheit ein, zieht sich von seiner Frau zurück und kommt seit anderthalb Jahren mit einer Psychotherapie nicht weiter.
In einem Traum sieht Lew Katz sich als Clown. Er weiß, dass er nicht jonglieren kann. Aber der Auftritt rückt näher. „Der Clown“ war der erste Titel von Nis-Momme Stockmanns Stück. Nun heißt es „Phosphoros“, eine Anspielung auf den Morgenstern, der in der Antike für Licht, Kraft, Schönheit und Liebe steht. Danach streben alle Menschen in diesem Stück. Aber sie stecken fest in Neurosen und Depressionen, Enttäuschungen und Ängsten.
Nis-Momme Stockmann nimmt jeden Charakter ernst. Die frustrierte Ehefrau bleibt ebenso wenig Klischee wie ein Kontrabassist, den sie trifft. Eine Minijobberin und ihr Freund, die in den Vorlesungen des Professors sitzen, ein Zugbegleiter, die Therapeutin – alle bekommen psychologisches Profil. Das macht den Text aber auch anstrengend und teilweise zäh. Wie oft bei Stockmann geht es nicht um dramatische Höhepunkte, sondern um Zustandsbeschreibungen. Die Regisseurin Anne Lenk vertraut den manchmal ausschweifenden Dialogen, die oft in parallel laufenden Szenen ineinander verzahnt sind. Sie hat die Bühne weitgehend leergeräumt. Ein riesiger Scheinwerfer hängt über den Spielern und gerät heftig ins Schwanken, wenn der Sturm kommt.
Das Stück erzählt vom Scheitern auf absurde, komische Weise, mit Wärme und Anteilnahme. Das Ende ist surreal und rätselhaft, Lew Katz bekommt einen Preis, während er eigentlich als bleiche Leiche in den Fluten schwimmt. „Phosphoros“ ist ein komplexer Theaterabend, der Kürzungen vertragen könnte. Doch das ausgezeichnete Ensemble – darunter Juliane Köhler – präsentiert viele anregende Gedanken auf der Suche nach Licht, Kraft, Schönheit und Liebe.