Foto: Mathias Baresel, Georg Festl und Clara Kreuzkamp © Jonas Weber
Text:Ulrike Kolter, am 15. Februar 2025
Wie der DDR-Punker Dieter „Otze” Ehrlich an Stasi und Mauerfall zerbrach, untersucht das Musiktheaterprojekt „Oper Otze Axt” in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt. Oper und Punk verbinden sich durch Sounddesign – musikalisch ein spannendes Experiment, szenisch darf weiterentwickelt werden.
Das Musiktheaterprojekt „Oper Otze Axt” will viel auf einmal sein. Und das ist es als kurzweilige Stückentwicklung des Kollektivs DRITTE DEGENERATION OST auch geworden: Ein musikalisches Experiment aus melodiösen Opernelementen, krawalligem Punk, ausgefeiltem Live-Sounddesign, mit fünf Streichern, Schlagwerk, kleinem Chor und Solisten. Dazu ist es eine Annäherung an die Frage, was das Ende der DDR für ein Individuum und ganz Deutschland als zwangsvereinigtes BRD-Kollektiv bedeutet hat – eine performative Suche quasi. Und dafür erzählt „Oper Otze Axt” bruchstückhaft vom Leben des Ost-Punkers Dieter „Otze” Ehrlich, dessen Band Schleimkeim eine der wichtigsten Punkbands der DDR war und die von der Stasi entsprechend verfolgt wurde. Punksein war ja ein auszurottendes, subversives westliches Phänomen.
Otze, der Axtmörder, zerbricht an der Gleichschaltung
Wie Otze nach Bespitzelungen und Untersuchungshaft an der neugewonnen „Freiheit“ nach dem Mauerfall zerbricht, am Ende seinen Vater mit einer Axt (!) erschlägt – das ist in seiner Grausamkeit perfekter Opernstoff, der eigentlich überhaupt nicht in die artifizielle Welt der Oper passt: Punk ist stinkend, laut und dreckig, so wie die Lieder von Schleimkeim. Doch in der Komposition von Mathias Baresel, Frieda Gawenda und Richard Grimm knallen diese Welten hemmungslos aufeinander, elektroakustisch verbunden durch das gut getimte Live-Sounddesign von Antonia Alessia Virginia Beeskow.
Klein und genial: die verschiebbare Knast-Bühne
Sie steht zu Beginn in einem Glaskasten rechterhand der Bühne (vom RHO-Kollektiv entworfen), auf einem Podest im Hintergrund sind fünf Streicher, Schlagwerk (vor allem Glockenspiel) und Dirigent Neil Valenta postiert. Otze lungert in einem verschiebbaren Gitterkäfig herum, der anfangs Knast ist, später Refugium für Schlagzeug- und angedeutete Saufexzesse mit der Band. Neben Otze (Mathias Baresel) treten auf: ein Schläger in dunkler Montur (Georg Festl), ein Schatten (Johann Kalvelage), ein samtrot gekleideter Magier (Clara Kreuzkamp) und Antonia Alessia Virginia Beeskow als IM (Inoffizieller Mitarbeiter). Frieda Gawenda, Teil des Kompositionstrios und Darstellerin, fehlte zur Premiere erkrankt.

Johann Kalvelage, Clara Kreuzkamp und der Chor. Foto: Jonas Weber
Dazu gibt’s einen fünfköpfiger Chor (Helene Böhme, Yan Hoffmann Rothe, Philipp Klotz, Mika Magen und Emily Norris) in grauen Mänteln und uniformen Bob-Perücken (Kostüme: Chiara Marcassa). Er marschiert als Kollektiv zur umgetexteten DDR-Hymne oder hämmert in einem zweiten Käfig ohrenbetäubend gegen Metallwände. So plakativ die sozialistische Gleichschaltung hier auftritt: In Otzes Kopf mag es genauso rumort haben. Am Ende hallt das real gesungene „Du gehörst nicht mehr hier heeeeeeer…“ elektronisch verzerrt minutenlang nach, Stimmen und Technik verschmelzen perfekt.
Otzes Verfall
In losen Szenen erleben wir Otzes Verfall: Inhaftierung, seine Anwerbung durch die Stasi – tatsächlich war Dieter „Otze” Ehrlich zwei Jahre als IM tätig –, seine vergeblichen Kontaktaufnahmen zum Vater (Martin Gernhardt), der dem Sohn stumpf und reaktionslos entgegentritt. Sarkastisch wird’s, wenn die Wiedervereinigung als personifizierte Hochzeit mit anschließender Gratulationsparty vollzogen wird: Ob denn die hier anwesende Bundesrepublik die DDR zu ihrem Vorteil sich einverleiben wolle… das Publikum amüsiert sich köstlich.
Mathias Baresel gibt Otze als fast schon zu sympathischen Antihelden, überzeugt grölend am Schlagzeug wie in liedhaften Momenten mit Kopfstimme. Dass die anderen Figuren Teil seiner aufgespaltenen Persönlichkeit sein sollen, kann man nachlesen, wirkt aber stellenweise pathetisch und szenisch unausgereift. Gut also, dass die Produktion im Rahmen von „NOperas!” am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen und am Theater Bremen weiterentwickelt werden soll.