Foto: "Der Gast ist Gott" am Grips Theater in Berlin © David Baltzer | www.bildbuehne.de
Text:Michael Laages, am 10. März 2014
Eigentlich ist das ja nur die halbe Uraufführung; und zwar mit Absicht. In jedem Fall ist „Der Gast ist Gott“ die zweite Premiere im selben Projekt – schon im vorigen Mai kam im indischen Pune die örtliche, die indische Version des Materials auf die Bühne, das das indische Autoren-Paar Vibhawari Deshpande und Shrirand Gobole mit Hübner gemeinsam entwickelt hatte im Rahmen von „Grips Movement in India“, einer in deutschen Nachwendezeiten vom Dino des deutschen Kinder- und Jugendtheater initiierten internationalen Kooperation.
Die indische Version hatte übrigens den schöneren Titel: „Du and me“. Denn „Der Gast ist Gott“ (so der Titel der aktuellen Premiere in Berlin) markiert eben nur die eine Seite im Clash der Zivilisationen.
Wozu Schüleraustausch gut ist? Genau: um Vorurteile abzubauen, hinüber und herüber. Boris steckt voll von ihnen, als er zum Indien-Austausch gelangt wie die Mutter zum Kind; zufällig, als Nachrücker. Der computerkundige, also halbgebildete Hightech-Knabe hatte auch fast vergessen, dass er eigentlich da hin wollte, nach Indien – jetzt, da es soweit ist, schreibt ihm Mama den Begrüßungsbrief, denn Boris kann nicht mal genug Englisch. Und bei Ankunft in Pune macht er naturgemäß das meiste falsch – schon weil er Pune (oder Poona) nur mit libertärem Sex im Ashram und beim Bhagwan verbindet. Die eigene Oma kannte sich da wohl ganz gut aus.
Der Vater der Gastgeberfamilie hingegen arbeitet bei VW India – und hat sicher auch darum ein viel zu ordentliches Bild vom neuen Deutschland. Und die Mutter hält ausgerechnet Kutteln für ein sehr deutsches Alltagsgericht zur Begrüßung… Tochter Radha immerhin ist so offen, wie es die eigene Erziehung so gerade eben noch zulässt; und als sie mal sehr westlich tanzt und dabei von Boris beobachtet wird, beginnt das Feuer zwischen beiden zu züngeln.
Ein wenig überschnell treibt das Autoren-Team die Fabel nun voran – zur festen Liebe, sogar zur Vision vom gemeinsamen Kind – und vom ausrastenden Papa, der prompt alle über den Haufen schießen will; dann zur Heirat in Indien. Aber natürlich ist alles nur Traum, teilweise zu Wagner-Musik, Gott und Götterdämmerung sozusagen in einem – tatsächlich fährt Boris zurück nach Berlin und freut sich auf Radhas Besuch im nächsten Jahr. Die Fortsetzung könnte folgen.
Mina Salehpour, bislang sehr erfolgreich in Hannover und Braunschweig, auch schon ausgezeichnet mit dem „Faust“-Preis, hat die eher schlichte Fabel zielstrebig komisch ins Visier genommen; die Bühne von Jorge Henrique Caro ist offen und ähnelt von ferne Schachbrett oder Stadtplan. Das zeigt: Hier bewegt sich gefälligst alles in geordneten Bahnen. Eigentlich. Oft wird in superschnellem Szenenwechsel mit indischem Konfetti gespielt (zur Begrüßung und wenn später die Kutteln ganz in Ekel-Grün daher flattern), und das wirklich flotte Ensemble (Robert Neumann und Nina Reithmeier als junges Paar, Katja Hiller und Roland Wolf als Eltern) verwandelt jede Pointe dankbar in herrlich leichtes Spiel.
Leider nur einmal, zu Beginn, steigen die Ensemblemitglieder aus – und thematisieren, wie sie denn bitteschön Inder spielen sollten; sie wüssten doch gar nichts von der Fremde. Oder viel zu wenig – daraus aber wird keine dauerhafte Nebenhandlung. Das ist schade – und natürlich „fehlt“ dieser Uraufführung eben auch das indische Gegen-Stück. Der Austausch der Aufführungen wäre mindestens so viel Goethe-Geld wert wie die Unterstützung der Autoren bei der Kooperation.
Nur zur Erinnerung: Dea Lohers grandioses Brasilien-Stück über „Das Leben auf der Praca Roosevelt“ wurde vor zehn Jahren in Deutschland uraufgeführt, in Brasilien gezeigt und dort dann nach und neu inszeniert. Diese Inszenierung wiederum kam dann nach Deutschland – mehr geht nicht an Begegnung. Da fehlt noch was, zwischen Pune und Berlin.
Weitere Termine:
10.03.2014, 10.04.2014, 11.04.2014 (ausverkauft), 12.04.2014, 02.05.2014, 03.05.2014, 10.06.2014, 11.06.2014, 12.06.2014, 13.06.2014