„Singularity“ im Münchner Cuvilliés-Theater

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Miroslav Srnka: Singularity

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:05.06.2021 (UA)Regie:Nicolas BriegerMusikalische Leitung:Patrick Hahn

Am Ende glitzern und schimmern Rokoko-Ränge und Bühne des schmucken Münchner Cuvilliés-Theater wie unter einer Galaxie von Sternen, die sich auf engstem Raum verdichtet haben. Die acht Protagonisten der englisch gesungenen „Space Opera for Young Voices“ aber sind in der sogenannten „Singularity“, also der Verschmelzung von menschlicher und künstlicher Intelligenz, irgendwo im Weltall der Zukunft noch längst nicht eins geworden, sondern streiten erst mal sehr irdisch menschlich und so derb miteinander wie noch nie während der vorausgegangenen kaum 85 pausenlosen Minuten. Bis plötzlich Blackout herrscht.

Was für eine eigenartige Utopie – oder doch Dystopie? – haben Komponist Miroslav Srnka und sein Textdichter Tom Holloway da ans Ende gesetzt, nachdem vier Sängerinnen und vier Sänger des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper sich jeweils als Doppel von realem und vermeintlich digitalem Ich nicht nur als famose Sängerdarsteller*innen erwiesen haben, sondern auch als hochpräzise Schauspieler*innen. Die fünfzehn Musiker des Klangforum Wien agieren selten als Orchester, sondern als interaktives Kammermusik-Ensemble, das die Stimmen nur manchmal stützt, oft dagegen treten einzelne Instrumente mit ihnen in Dialog oder knackige Einwürfe konterkarieren sie.

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Die erste von dreizehn Szenen kommt fast ganz ohne instrumentale Musik aus, denn sie spielt als einzige noch auf der Erde. Bariton B (Andrew Hamilton) samt seiner inneren, „digitalen“ Stimme eB (Theodore Platt) spielt wie wild am Computer, seine Freundin S (die Sopranistin Eliza Boom mit eS Juliana Zara) versucht den Nerd vergeblich zu überzeugen, dass ihr „Messaging“ – also die Sprachnachrichten, die von Kopf zu Kopf übermittelt werden, ohne dass man sie tippen müsste – ein Update braucht, da stürzt das System zusammen. S kollabiert und B findet sich mit Tenor T (George Vîrban) eT (Andres Agueldo) sowie M = die Mezzosopranistin Daria Proszek + eM Yajie Zhang im Weltraum wieder.

Dort muss sich die Zufallsgemeinschaft erst sortieren, man hört T von seiner „Trostdrohne“, einem künstlichen Kanarienvogel, singen und B versichert, er hätte sich liebevoll mit seiner Freundin unterhalten. M, die laut Personenverzeichnis „nicht die beste Art hat, mit Menschen umzugehen“, glaubt das nicht. Weil die drei es nicht auf die Erde zurück schaffen, sind sie nun, wie Sartres „Die Eingeschlossenen“ in der Hölle, unfreiwillig in ihrem Weltraum-Spa gefangen, welches ihnen ewige Jugend „schenkt“. Das erfahren sie von einem Computer, den sie reparieren und der irgendwann mit der Stimme von S zu reden beginnt. Die drei müssen nun miteinander auskommen und ein Wechselspiel von Nähe und Anziehung, Zuwendung und Eifersucht wie auch der Option, sich körperlich näherzukommen, beginnt. Es erreicht seinen Höhepunkt, als die tiefgreifend veränderte S in der elften Szene wieder auftritt – und nun gar Computer-, Kopf- und reale Stimme miteinander kommunizieren.

Am Ende sind zum galaktischen Finale alle Stimmen miteinander so im Oktett vereint und damit menschliches und digitales Ich so eins geworden, dass man den gesungenen Zwist gar nicht mehr als solchen wahrnimmt.

Es ist ein kluger, prägnant umgesetzter Schachzug von Regisseur Nicolas Brieger, die digitalen Stimmen von schwarzgewandeten „Schatten“ live singen zu lassen, deren Gesicht unter einer schwarzen Strumpfmaske verborgen ist. So wird vielfältige theatralische Interaktion auf der Bühne möglich. Weil die allesamt schönen, sicher und gut geführten Stimmen der Mitglieder des Opernstudios auch durchaus charakteristisch gefärbt sind und alle auch im Spiel überzeugen, kann man die oft sekundenschnellen Wechsel von realer und digitaler Stimme beim Hören – und beim Zuschauen – auch gut realisieren.

Für gelungene Sciene-Fiction sorgt auch die Bühne von Raimund Bauer: ein weißer quadratischer Kubus mit schwarzen Löchern, wie er mal in den 1960ern Mode war. Dank der fantasievollen Videos von Stefano DiBuduo kann er in die verschiedensten Räume verwandelt werden oder die explodierende Bilderwelt nimmt in den dichten Zwischenspielen den Zuschauer und -hörer auf eine Reise in galaktische Weiten oder das Innere eines Computers mit.

Miroslav Srnka hat auf den elaborierten, manchmal sehr witzigen Text eine rasante musikalische Komödie komponiert, in der es nur selten Inseln der Ruhe gibt. Die (instrumentale) Musik und die Samples reagieren seismografisch und doch sehr locker auf den Text; einzelne immer wiederkehrende Emojis bekommen zum Beispiel ein entsprechendes Signum in Tönen, das von den Nutzern unabhängig vielfach identisch wiederkehrt. Das wird wie bekannt bebildert in den Untertiteln, da die Bühne des Cuvilliés-Theaters fast quadratisch geöffnet ist und Obertitel nur störend wären. Mit einer Mischung aus atemloser Anspannung und gelöster Entspanntheit folgt der Zuhörer und -schauer dem Geschehen mit seinen 15 Musiker*innen wie den fein zwischen Sprechen, Sprechen auf Tonhöhe, Sprechgesang, Parlando und Ariosem wechselnden Figuren. Die Musiker*innen spielen in traditioneller, jeweils solistischer Besetzung plus Akkordeon, E-Gitarre, Schlagwerk (Marimbaphon) sowie Syntheziser.

Die Vorstellung am 7. Juni 2021 wird ab 19 Uhr live auf STAATSOPER.TV übertragen. Ab 9. Juni ist dann 30 Tage ein ebenfalls kostenloses Video on demand auf der Website verfügbar.