Foto: Lucie Emons, Andrej Agranovski, Claudia Hübschmann, Swana Rode, Milan Peschel und Leonard Dick ind "House of Trouble" am Staatstheater Karlsruhe © Felix Grünschloß
Text:Manfred Jahnke, am 4. März 2023
Molière heute spielen, geht das noch? Und wie! Milan Peschel am Staatstheater Karlsruhe entfacht eine hochkomödiantische Revue. Als Folie dazu benutzt er ein Stück von Molière, das schon lange wegen seiner historischen Gebundenheit aus den Spielplänen verschwunden ist: „L’Impromptu de Versailles“. Ein wunderbar selbstreferentieller Text, in dem der Schauspieler-Autor nach der „Kritik der Schule der Frauen“ (beide Texte sind 1663 entstanden) über die gesellschaftliche Rolle seines Theaters nachdenkt: Molière hat den Auftrag erhalten und zugesagt, für den König eine Komödie zu schreiben. Diese muss aber nun in zwei Stunden aufgeführt werden. Das Ensemble ist nicht einverstanden, es will Rollen haben und es will diese einstudieren. Kurz: das Ensemble will Kunst und Molière geht nach Brot. Und wie so oft, wenn Widersprüche bei ihm unversöhnlich scheinen, lässt am Ende der König mitteilen, dass die Aufführung verschoben wird – und nun die Zeit zum Proben da ist.
Das „Stegreifspiel von Versailles“ reflektiert darüber hinaus den historischen Übergang von der commedia dell’arte zur Charakterkomödie. Ein Schritt, den manche Zeitgenossen Molière übel genommen haben (wie fast ein Jahrhundert später auch Goldoni erfahren musste), weil damit das Verhalten verschiedener Gesellschaftsgruppen dem Lachen ausgeliefert wurde. Wenn das kein Theaterstoff ist! Peschel mixt munter Szenen aus „Der Menschenfeind“, „Der Geizige“, die berühmte Rhetoriknummer aus „Der Bürger als Edelmann“ oder „Don Juan“. Geschickt bezieht er das „historische“ Material auf die gegenwärtige Situation des Karlsruher Staatsschauspiels. Er jongliert dabei perfekt mit den Begriffen gegenwärtiger theaterwissenschaftlicher Debatten, mit dem Begriff der „Repräsentation“ ebenso wie dem der „Performativität“ oder der „Authentizität“ – und widerlegt alle theoretischen Debatten in der Energie des großen Aufspielens.
Das Spiel im Zentrum
Vor dem weißen Vorhang, auf dem „House of Trouble“ geschrieben steht, inszeniert Peschel gleich zu Anfang eine wunderbare Slapsticknummer mit Spielern in dreierlei Kostümen (Kostüme: Magdalena Musial): Zwei Spieler treten in einem heutigen, neutralen Schwarz auf, einer im Outfit eines französischen Barockkönigs und vier in den Karobekleidungen der commedia. Wenn der Vorhang sich hebt, bestimmen Pappattrappen die Szene (Bühnenbild: Nicole Timm): links die Fassade eines einfachen „bürgerlichen“ Hauses, in der Mitte die Wand eines reich verzierten Palastes, daneben eine aufgemalte „fürstliche“ Treppe, auf der rechten Seite schließlich eine große gläserne Terrassenwand. Im Laufe des Spiels – insbesondere bei den eingestreuten Slapstickeinlagen – knallen nicht nur die Türen oder werden Wände hin- und hergeschoben, es fahren auch Podeste hoch, die einen Gang zeigen, in dem man wandeln und rauchen kann. Kurz: dem Auge wird einiges geboten.
„House of Trouble“ ist eine sinnfällige Mischung aus Literatur-, Theatersatire und Nonsens, die zum Ende hin (wenn das Ensemble in Fatsuits Nacktheit simuliert) immer ernster wird: Nicht zufällig stehen die Schlusssätze aus dem „Menschenfeind“, in denen sich Alceste von der Gesellschaft verabschiedet, am Ende. Man hat sich ausgelacht, man hat sich über die Baumisere am Staatstheater Karlsruhe ausgetauscht: Peschel ist schlau genug, keine Lösungen zu liefern, er lässt das Spiel im Schweben ausklingen. Weil aber gerade die Energie dieses Spiels im Zentrum der Aufführung steht, wird eindeutig, dass es in „House of Trouble“, das sich vorübergehend in ein „House of No Trouble“ hinübersehnt, nur um eines geht: das Spiel.
Diese extreme Mischung aus commedia und Alltagssorgen der Spieler und Spielerinnen, aus dem Spiel mit Sterotypen, lokalen Besonderheiten und mit der Realität braucht ein großartiges Ensemble. Und das gibt es in Karlsruhe. Es fällt schwer, jemanden herauszuheben, weil hier ein wahrhaftiges Ensemble agiert. Lucie Emons, Claudia Hübschmann und Swana Rode, ebenso wie Andrej Agranovski, Leonard Dick und Moritz Grove spielen auf einem hohen komödiantischen Niveau, allerdings in manchen Momenten ein wenig zu marktschreierisch. Wunderbar, wie dieses Ensemble auch den hohen Ton beherrscht, Verse leiern lässt und im nächsten Moment die genaue Pointe setzt. Milan Peschel, der für den erkrankten André Wagner bei der Premiere eingesprungen ist, fällt denn doch heraus: Wie er mit dem Textbuch in der Hand in seinem Spiel Understatement entwickelt, macht deutlich, wie wenig es braucht, um eine komische Figur zu spielen: Er steht da, schaut dem Geschehen zu, verzieht traurig kommentierend das Gesicht – aber, was sich in diesem Gesicht abspielt, ist eine ganze Welt, die zum Lachen reizt. Buster Keaton lässt grüßen.