Nachdem ein Wohnlager der Migranten geräumt wird, sie obdachlos sind, einer ob der erfolglosen Aktivitäten von Sagnet sich zum Judas wandelt, ist eine Gruppe historischer Jünger mit Jesus an der Spitze auf dem Weg in die Stadt zu sehen. In einer Bauruine findet das pittoreske letzte Abendmahl statt, Jesus betet zu Gott, bis ein Auto erscheint und Soldaten – mit Rüstungen aus einem lokalen Historienspiel, in dessen Fundus wir vorher zu Gast waren – Jesus auf den Judas-Kuss hin mitnehmen.
Rau und sein Team verknüpfen die Ebenen virtuos. Auch die Kamerabilder pendeln zwischen farbreichem Historiendrama und Dokumentation von aktuellem Schmutz, zeigen den Bruch aller Fassaden gleich mit. Die Sehnsucht aus Pasolinis Film scheint in Zitaten auf, wenn Mitwirkende des neuen Films den Vorgänger im Kino betrachten. Hier und in anderen Szenen kommt Raus große inszenatorische Stärke zum Tragen, wie sie sich auch in seinen Theaterarbeiten immer wieder zeigt: Menschliche Gesichter beim empathischen Zusehen und Zuhören. Auch Sagnet ist als Jesus ein milder Zuhörer. Und doch stellt sich immer wieder die Frage, wie das Wirken eines ausgesprochen unpolitischen Messias alias Sohn Gottes zusammenpasst mit dem eines politischen Aktivisten, der Gerechtigkeit und Würde fordert, aber keine metaphysischen Anliegen zu haben scheint. Der Film ist dramaturgisch so geschickt komponiert, dass all diese Fragen und Reibungen Teil des Konzepts und keineswegs mit optischen oder akustischen Mitteln übertüncht würden.
Und doch bleibt gerade bei der, von echten Touristen fotografisch verfolgten, Kreuzigung eine gewisse Leere. Marias Trauer wirkt exaltiert, Jesu Tod lässt einen eher kalt. Zur Eröffnung seiner Genter Intendanz hat Milo Rau 2018 den Genter Altar als „Lam Gods“ mit Schauspielern und Bürgern der Stadt um das Thema Opfer im Alltag inszeniert. Nun nutzt er die Bibel weiter als passende Dichtung, nicht als metaphysischen Text, um den Kampf für dringende soziale Änderungen im Umgang mit Migranten anschaulich zu machen und in einer Mischung aus Dichtung und Realität anzumahnen. Rau bleibt kritisch und glaubt doch mit Sagnet an den Kampf um Gerechtigkeit und Würde. Im Abspann findet der ehemalige Jesus fair erwirtschaftete Tomaten in einem Supermarkt; die Bewegung hatte schon einen gewissen Erfolg. Das ist keine weihnachtliche Botschaft, aber eine politisch-poetische.
Der Kinofilm wird nun in Zusammenarbeit mit Kinos per Stream gezeigt – und ist auch damit auch im Vertrieb in enger Nähe zu Theater-Streamings. Das Online-Kinoticket ist hier erhältlich.