Arbeiten bis zum Umfallen: das "Europa Ensemble" in der Inszenierung von "The Clickworkers"

Choreographie der Selbstausbeutung

Europa Ensemble / Dino Pešut, Selma Spahić: The Clickworkers

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:07.03.2020 (UA)Regie:Selma Spahić

Clickworkers sind junge Menschen, die motiviert weit unter dem Mindestlohn in Internetunternehmen arbeiten und oft an Symptomen eines Burnouts leiden, weil sie sich total für die Firma verausgaben. Für das Europa Ensemble, zu dem sich das Nowy Teatr Warschau, das Zagreb Youth Theatre und das Schauspiel Stuttgart zusammengetan haben, haben sich der junge kroatische Autor Dino Pešut und die bosnische Regisseurin Selma Spahić dieses Stoffes als viertem Projekt des Ensembles angenommen. Sie führen eine Art Startup-Unternehmen vor, oder zumindest eine eigenständige Abteilung eines großen Konzerns, in dem es um das Verkaufen geht und ein Teil der Erlöse in den Tierschutz, in die Rettung von Rehen geht.

Schon beim ersten Meeting, bei dem die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eintreffen und sich kennenlernen, macht Claudia Korneev als „Chefin“ des Teams klar, dass trotz flacher Hierarchie und scheinbarer Selbstbestimmung der Gruppe es eigentlich ihre Regeln sind, nach denen sich die Gruppe zu richten hat. Sie tritt bestimmt-freundlich auf, verfügt aber auch über perfide Methoden, um ihre Arbeitsethik durchzusetzen. Wie die Rehe paralysiert, geblendet im Licht von Autoscheinwerfern, stehen bleiben, müssen und wollen auch teilweise die Clickworker in Scheinwerfer starren und anschließend gegen die Wellblechwand springen, die die Bühne nach hinten abschließt. Bis zur Bewusstlosigkeit. Und da wird man schon bestraft, wenn man ein Brötchen mit Wurst isst, denn diese Generation ist vegan. Am Ende aber ist auch Claudia eine Looserin, alle sind entlassen, außer Jan, der eine neue Abteilung gründen wird.

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Pešut und Spahić schaffen ein gespenstisches Bild der „neuen Form“ einer Arbeitswelt der Selbstausbeutung. Selena Orb hat dazu einen Raum geschaffen, der verdeutlicht, dass es sich hier um eine Kapsel handelt, die sich vor der Welt abschließt: Im Zentrum steht ein großer Tisch, mit sechs Laptops, rechts ist eine kleine Küche und hinten ein kleines Bad zu sehen, links der Schreibtisch der Claudia, von dem aus sie alles kontrollieren kann. Die Spielerinnen und Spieler betreten diese Szene aus dem Zuschauerraum heraus und verlassen diesen Raum erst zum Schluss. Die Regie lässt sich zu Beginn Zeit, die Figuren einzuführen sowie die Spielregeln, die sich das Team nach dem manipulativen Einsatz von Claudia selbst gibt und die quasi das kapitalistische Glaubensbekenntnis der Clickworkers formulieren: „Don‘t stop when you‘re tired, stop when you‘re done“ ist längt zum Gesetz geworden.

Nach dem stupenden Beginn entwickelt diese englischsprachige, deutsch untertitelte Inszenierung ein rasantes Tempo. Zu den von Draško Adžić komponierten Klängen wird selbst das Klicken des Computers zu Musik. Einen Höhepunkt stellt eine Szene dar, in der alle am Tisch sitzen und ihre Computer „bearbeiten“ und ein gemeinsamer Rhythmus entsteht. Überhaupt verfügt die Regie von Selma Spahić über ein genaues Rhythmusgefühl, in den Tempiwechsel wie in den Blacks zwischen den Szenen, während derer Texte im Dunkel weiter projiziert werden.

Außerdem steht ein eingespieltes Team auf der Bühne, das mit wunderbarer Leichtigkeit überzeugt: Jaśmina Polak, Anđela Ramljak, Tenzin Kolsch, Adrian Pezdirc, Jan Sobolewski und Claudia Korneev haben alle ihre eigenen Macken, manchmal auch Zweifel, nur Jan hebt sich ab durch seinen Ehrgeiz, der am Ende belohnt wird.

Die zunehmend wahrgenommene Isolierung schlägt sich gegen Ende in surrealistischen Bildern nieder: Da treten zunächst alle mit Pferdefüßen auf, werden zu Mephisto, zum Geist, der stets verneint, um sich dann ganz am Ende – wenn klar ist, dass bis auf Jan alle gekündigt sind – als Choreographie „grauer“ blutender Menschen tänzerisch auf dem Boden krümmen. Ein eindringliches Bild, was diese Selbstausbeutung mit Menschen macht: Sie führt direkt in den Burnout und da stehen schon die nächsten, die sich wieder selbst ausbeuten… Pešut und Spahić ist eine eindringliche, intensive Inszenierung gelungen.