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China von unten

Liao Yiwu: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Theater:Theater Münster, Premiere:11.04.2014 (UA)Regie:Max Claessen

Seit drei Jahren lebt der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu in Deutschland. 2012 bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels In seiner Heimat wurde er verfolgt und inhaftiert, sein Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ ist in China verboten. Nun hat das Theater Münster die „Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit“ auf die Bühne gebracht.

Die junge Frau zuckt im Rhythmus der Technomusik. Sie trägt gepunktete Strumpfhosen, ein Bustier und eine völlig unpassende Jacke. Wenn man sie nach ihrem Namen fragt, nennt sie sich einfach Fräulein Hallo. Sie will zu einem Drink eingeladen werden. Vielleicht schläft sie für Geld mit fremden Männern, vielleicht auch nicht. Wie es so kommt. Fräulein Hallo gehört zur neuen Generation in China, sie ist 18 Jahre alt und total hip.

Der chinesische Autor Liao Yiwu ist ein Geschichtensammler. Er hört den Leuten zu, die in den staatlich gelenkten Medien keinen Platz haben. Den Totenrufern und Klomännern, den Prostituierten und den Kleinhändlern. Ihre Erzählungen schreibt er auf und verdichtet sie, ein kritischer Chronist. Der Regisseur Max Claessen hat nun eine Spielfassung für fünf Schauspieler erstellt. Im ersten Teil zitiert er viele Chinaklischees. Ein Papierdrache steht im Hintergrund, die Schauspieler haben sich die Gesichter im asiatischen Stil geschminkt. Die Bühne steht voll mit billigen, weißen Gartenstühlen, in Reih und Glied wie eine Armee aus Terrakotta-Kriegern. Die Schauspieler zitieren die Mao-Bibel und berichten vom Massaker am Tiananmen-Platz und anderen Katastrophen der jüngeren Geschichte.

Der erste Teil der Aufführung gerät ein bisschen zäh, anderthalb Stunden Unterricht in chinesischer Zeitgeschichte, interessant, aber anstrengend. Nach der Pause wird es unterhaltsamer. Da kommen die stärksten Geschichten, zum Beispiel die des von Carolin Wirth faszinierend kantig verkörpertem Fräulein Hallo. Gleichfalls großartig und mit artistischer Körperbeherrschung spielt Florian Steffens einen Dieb, der sich durch die Toilette und den Abwasserkanal eines Gefängnisses in die Freiheit kämpft. Eine Geschichte mit Tarantino-Format, derb, witzig und von wilder Freiheitssehnsucht durchglüht. Das Theater Münster zeigt China als Gesellschaft im Umbruch, in der jeder für sich selbst kämpft und keiner dem anderen zuhört.