Lesley -Ann Eisenhard und Jan -Hendrik Kroll in "Fettes Schwein" am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel

Ein unausgesprochenes Vorurteil

Neil LaBute: Fettes Schwein

Theater:Westfälisches Landestheater, Premiere:05.04.2025Regie:Ralf Ebeling

Pures Theater am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel: Ein guter Text, eine schnörkellose Inszenierung, ein tolles Ensemble und ein brisantes Thema: die gesellschaftliche Ächtung einer Minderheit.

Wie stellt man Fettleibigkeit auf der Schauspielbühne dar? Mit einem Fettanzug? Oder muss man sich einen Schauspieler oder eine Schauspielerin suchen, die Übergewicht hat und stellt die Person dann aus? Gut 20 Jahre nach der Uraufführung von „Fettes Schwein“ scheint die Auseinandersetzung mit „Fettleibigkeit“ oder „Übergewicht“ immer noch schwer. Weil man niemanden verletzen will, auch als Rezensent nicht. Und genau darum geht es im Stück des amerikanischen Autors Neil LaBute.

Helen und Tom begegnen sich beim Essen in einem Stehimbiss und mögen sich auf Anhieb. Helen isst sehr viel, allein drei Schokoladenpuddings als Nachtisch. Lesley-Ann Eisenhardt hat eine „normale“ Figur und trägt ein etwas weites Kleid – und „FETT“ steht in großen, schwarzen Buchstaben auf ihrer Brust. Die beiden verlieben sich, doch, das merkt man im Publikum schnell, das unausgesprochene Vorurteil schiebt sich unausweichlich zwischen sie. Kann man heute mit einer „Fetten“ – oder mit einer „Molligen“ – zusammenleben, ohne gesellschaftlich geächtet oder privat ausgeschlossen zu werden?

Erschütterndes Ende

Helen spürt das von Anfang an, vielleicht hat sie entsprechende Beziehungs-Erfahrung. Sie versucht den Konflikt behutsam aus Tom herauszulocken, denn sie weiß, wenn er ausgesprochen wird, kann man sich der Aufgabe stellen, zusammen. Doch Tom scheitert, er vergleicht seine Liebe mit seinem bisherigen Leben und entscheidet sich für letzteres, für die Sicherheit. Ein erschütterndes Ende, auch weil Jan-Hendrik Kroll im Spiel Tom lange in der Schwebe hält zwischen dem ehrlich Liebenden und einem Mann, der eine Beziehung hat, weil man eine Beziehung hat, diese aber nicht weiter entwickeln will. Kroll zeigt erst in der letzten Szene die Tiefe seiner Figur, was das Ende noch schmerzhafter macht. Während Helen immer wieder, auch hier schmerzhaft, das Paar aufruft, an der Beziehung zu „arbeiten“.

Den sehr dichten Text hat Ralf Ebeling in eine kleinteilige Sprach-Partitur übersetzt. Die Bühne von Jeremias Vondrik ist leer, der Schauplatz wird schriftlich an die Wand geworfen – „Stehimbiss“ oder „Büro“ – und minimal ausgestattet. Ein Stehtisch mit Essensverpackungen wird zum Stehimbiss, das Büro besteht aus zwei Bürostühlen, einem Laptop und einer Kaffeetasse.

Eine Gesellschaft aus zwei Typen

In Toms Büro arbeiten auch Carter und Jeanie. Sie verkörpern die Bestie „Gesellschaft“, die Vorurteile ausspeit, woran viele Randgruppen und Minderheiten zugrunde gehen, deren Leben auch ohne diese Vorurteile nicht leicht ist – wie eben Helen. Carter ist der klassische Fast-Freund, irgendwo zwischen Kameradenschwein und Stammtisch-Philosoph. Jeannie ist Toms Ex, wütend über ihre eigene Situation, noch wütender über die Tatsache, dass eine „Fette“ ihre Nachfolgerin wird. Arikia Orbán rebelliert fast ein wenig gegen diese negative Rolle, macht oft zu viel, verdoppelt, stellt aus. Tobias Schwieger dagegen ist fast zu cool als Carter, zweimal setzt er sich vor die erste Reihe und kuckt einfach. Ich bin es, der Plotter, der Vorurteil-Treiber, ein Held? So spannt die Inszenierung bewusst mit nur zwei extremen Figuren ein Typen-Arsenal, von der persönlich Betroffenen bis zum Nicht-Betroffenen, der sich weidet am Unglück der anderen.

„Fettes Schwein“ im Studio des Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel ist pures, vielleicht ein wenig altmodisches Theater. Im Mittelpunkt stehen ausschließlich der sehr gut geschriebene Text, die schnörkellose Inszenierung, die ihn hörbar und verstehbar macht, und persönlichkeitsstarke Schauspieler:innen, die beides verlebendigen. Und Fragen stellen an unser aller Leben. Das ist alles, und es ist viel.