Foto: Szene aus "Wir Glücksritter. Inszenierungen des Alltags" © Theaterhaus Stuttgart
Text:Adrienne Braun, am 21. Juli 2014
Als der Paketbote plötzlich ein Baby bringt, ist das junge Paar verzweifelt. Was sollen Sie tun mit diesem Kind? Wie mit dieser Verantwortung umgehen? Wird das Leben mit Familie nicht trostlos sein? „Dieses Paket“, sagt der Bote, und es klingt wie eine schlimme Drohung, „wird sie ein Leben lang begleiten“. Ach was, hat Alina Bronsky im Internet kommentiert und wischt die Sorgen der jungen Leute vom Tisch. „Nicht alle Männer kommen spät nach Hause“, schreibt sie, „Mein Mann zum Beispiel kümmert sich rührend ums Kind. Meine Frau wechselt die Autoreifen und verdient das Geld…Mein Kind schmatzt nie…Wir lesen uns abends immer das Neueste von Goethe vor.“
Wie schaut der heutige Alltag konkret aus? Das war die Frage, die sich sieben Autorinnen und Autoren gestellt und dazu unter blogbuehne.de Texte geschrieben haben. Sie und andere User haben die Blogs wiederum kommentiert und aus den 1100 Kommentaren und Dialogen im Netz hat der Dramaturg Thomas Richhardt eine Bühnenfassung erarbeitet. „Wir Glücksritter – Inszenierungen des Alltags“ nennt sich das Ergebnis, das nun im Theaterhaus Stuttgart Premiere hatte und ein interessantes Projekt ist, das die Unterschiede zwischen dramatischer Literatur und Prosa klar markiert und doch überwindet.
Fünf Türen stehen frei auf der Bühne des Theaterhauses – und die Schauspieler verschwinden durch sie und tauchen als andere Figuren wieder auf. „Wir Glücksritter“ ist eine Szenenfolge mit ganz unterschiedlichen Stationen: Andreas Altmann parodiert einen Selbstfindungskurs bei einem indischen Guru. Nellja Veremej schildert eine Mitfahrgelegenheit, bei der die Fahrerin ihre Insassen gängelt und diktatorisch die Dauer der Pinkelpause bestimmt. Anna Bronsky hat wiederum ein Casting für die Supermama inszeniert – und skizziert dabei die Tristesse einer vom Alltag zerrütteten Familie.
Elegant verknüpft die Bühnenfassung diese literarischen Texte mit der Geschichte des jungen Paares, das plötzlich mit einem Kind dasteht und versucht, mit der neuen Situation umzugehen. Das klingt banal, aber ist letztlich nur der Kitt für die unterschiedlichen Beiträge aus dem Netz, die nicht immer dramatisch sind. So will der junge Mann seiner Freundin einen Brief schreiben, in dem Text „Arbeit 1“ von Lutz Hübner wird er aber immer vom Internet abgelenkt. Der Schauspieler Yavuz Köroglu geht hierzu durch die Türen – und raffiniert wird durch Worte der Eindruck erweckt, er sei beim Googeln wieder in einem neuen Raum, einem neuen Fenster gelandet. Eine kluge Lösung für etwas, das sich auf der Bühne eigentlich gar nicht darstellen lässt.
Der Regisseur Oliver Dominique Endreß hat launig und kurzweilig inszeniert, und das multikulturelle Ensemble des Theaterhauses geht mit großer Spiellust an die verschiedenen Typen heran, die häufig auch skurril und überdreht sind. Besonders amüsant ist der Auftakt des Abends, eine Podiumsdiskussion, bei der sich die Darsteller unters Publikum mischen und äußerst witzig mitdiskutieren, „lauter“ rein rufen oder „Ich muss mich entschuldigen für meine Frau“.