Feministische Tour de Force
Geschaffen haben sie eine Art feministische Tour de Force durch die Geschichte einer Figur, deren Darstellung seit jeher männlich dominiert ist – und deren weiblichen Geist sie gleichsam heraufzubeschwören suchen. Weil Sprache und Stimme, Atem, Gesang und Erzählung bei Halla Ólafsdóttir und Erna Ómarsdóttir oftmals denselben Rang einnehmen wie die Bewegung, ist das Duett der Julias nicht nur eine Choreografie, sondern immer wieder auch ein imposantes akustisches Spiel mit Nuancen von Geschrei und Gelächter, Gestöhne und Geflüster. Gerade im ersten Teil überlagern sich diese Elemente fast permanent, sodass kaum etwas zu verstehen ist – die Frage, ob das nun Absicht ist oder nicht, lässt einen ratlos zurück, bis beide es später zumindest teilweise aufklären: Hier seien die männlichen Stimmen des Stücks zitiert worden, berichten sie in einer Ansage ans Publikum.
Prokofjews Komposition wird lediglich zitiert und kontrapunktisch um Soundeinspielungen des Noise- und Industrialkomponisten Stephen O’Malley und von Valdimar Jóhannsson erweitert. Choreografisch ist der Abend offenbar inspiriert durch die Münchner Arbeit, sei es bei den breitbeinigen Sprüngen oder dem verkeilten aufeinandersitzen, in dem beide auch zuletzt förmlich ineinander versinken. Klassische Ballettposen werden allenfalls ironisch angedeutet. Bewegung, das heißt trotzdem fast permanent Verausgabung: Es ist ein Rennen und Kriechen, ein Springen und Zittern, und natürlich geht es in den teilweise deutlichen, teilweise aber auch undurchsichtigen Bildern nicht nur um Julia, sondern auch um Weiblichkeit an sich. Die Botschaft ist auf allen Ebenen deutlich: Als klassische Liebesgeschichte hat „Romeo und Julia“ ausgedient.
Uneitle Rebellinnen
Erhellenderweise gehen die beiden Choreografinnen sehr humor- und lustvoll vor, prangern nicht einfach nur die männliche (Rezeptions-)Geschichte des Stückes an. Auf der Bühne ziehen sie sich joggend weiße Prinzessinnenkleider über die nackten Brüste (Bühne und Kostüm: Júlíanna Lára Steingrímsdóttir), singen „Love is in the air“ von John Paul Young (… „but it’s something that I must believe in“) oder gebären zwei große Männerköpfe, die offensichtlich Shakespare und Prokovjew darstellen sollen. Das Lachen darüber vergeht einem im nächsten Moment, wenn sie mit erloschenen Gesichtern die Männerköpfe in ihren Armen schuckeln: Die Frau reduziert auf ihre Rolle als Gebärende und Mutter. So einprägsam die Bilder der rund 70-minütigen Performance – ein bisschen lose wirkt ihre Aneinanderreihung schon. Neben der Zermalmung weiblicher Klischees lebt der Abend aber unbedingt von seinen uneitlen und sehr präsenten Schöpferinnen. Wer sich einlassen kann darauf, erlebt eine gleichermaßen geistreiche wie schmissige Ballettrebellion.