Foto: Im zunehmenden Wahn: Faust (Erik Laporte) und Méphistophélès, hier als sein Alter Ego (Shavleg Armasi) © Jörg Landsberg
Text:Melissa Korbmacher, am 17. Februar 2019
Welcome to the Faust Company: ein netter Spruch und eine kalte Fassade. Und dahinter: Leere. Vor allem in Fausts Kopf. Die vielbesungene Natur findet sich in seinem Büro lediglich als Blumenstrauß, der regelmäßig ausgetauscht wird – so farblos wie der Rest der Umgebung. Hector Berlioz‘ dramatische Legende „La damnation de Faust“ wird an der Staatsoper Hannover zum Porträt eines Börsenmaklers, den sein Beruf von innen zerfrisst.
Regisseurin Marie-Ève Signeyrole verlegt die Handlung in eine graue Bürotristesse (Bühne: Fabien Teigné), in der allein der Gewinn zählt. Faust ist ausgebrannt, seine Persönlichkeit gespalten. Nach außen gibt er den Erfolgsmenschen, sobald die Tür zufällt, bricht er zusammen. Tenor Eric Laporte betont dabei die Hilflosigkeit der Figur und lässt seine Stimme sehnsuchtsvoll durch die Register fließen. Den Gegensatz dazu bildet Méphistophélès – allerdings nicht als Fausts Gegenspieler, sondern als sein Alter Ego. Er stellt den aalglatten Geschäftsmann dar, Fausts andere Persönlichkeit, die den Takt in der Firma vorgibt. Shavleg Armasi stattet seinen Part mit dunklem Schimmer in den Tönen aus, die Stimme mal gefährlich samtig, mal aufbrausend. Der Zynismus tropft ihm aus jeder Pore.
Marguerite dagegen ist die strahlende Erscheinung, die als Projektionsfläche für die Sehnsüchte der Männer herhalten muss. Über weite Strecken ist ihre Figur eher passiv angelegt, sie flieht wie ein gehetztes Tier vor Fausts Angestellten, die sie bedrängen. Dass sie sich dann ausgerechnet in die Arme ihres Chefs rettet, kann nur durch Méphistophélès‘ Einwirkung erklärt werden. Berlioz räumt der Gretchentragödie in seiner Komposition wenig Raum ein, was schade ist, da die Mezzosopranistin Monika Walerowicz ihre Marguerite mit einer so strahlend warmen Stimme gestaltet, dass ihre Figur mehr Raum verdient hätte. Marguerite ist es auch, die Fausts Blumen auf dem Schreibtisch austauscht und Faust so eine Verbindung zur Natur und zum Leben schafft. Je mehr dieser in seiner Wahnwelt versinkt, desto mehr erobert die Natur sein Büro.
An vielen Stellen arbeitet die Regisseurin dabei mit metaphorischen Ebenen, in die Faust wie in Traumszenen abtaucht. Tiermasken als Symbol der Triebhaftigkeit, ein kleiner Vogel, den Faust bei sich trägt, immer wieder kurz auftauchende, teilweise grotesk verzerrte Figuren – Signeyroles Inszenierung ist sehr vielschichtig. Allerdings verliert sie sich dabei in einer ganzen Reihe von Symbolen, die sie nicht immer stringent erzählt und zusammenführt. So taucht Faust zu Beginn immer wieder als Kind auf. Später wird diese Motivik nicht mehr aufgegriffen. Der ältere Faust und sein Alter Ego Méphistophélès beherrschen die Szenerie. Als einzige in blaue Anzüge gekleidet (Kostüme: Yashi) stechen sie vor den schwarz-grauen Anzügen der Angestellten heraus. Immer wieder werden ihre Emotionen live mitgefilmt und auf die Leinwand übertragen; ergänzt durch Videoinstallationen (Realisation: Baptiste Klein), die den Ort des Geschehens lose aufgreifen, etwa indem sie die Glasfronten eines Hochhauses projizieren, in dem die Angestellten der Faust Company die Aktienkurse überwachen.
Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover (Leitung: Lorenzo Da Rio) singen diese graue Büromasse homogen und fein ausgelotet. Unterstützt werden sie dabei vom Bewegungschor, der einzelne Szenen choreographisch umsetzt. So entstehen viele Tableaus mit starken Bildern (Choreographie: Julie Compans). Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Ivan Repušić setzt der Nüchternheit auf der Bühne großen Farbreichtum entgegen. Fausts Höllenfahrt wird zu einem hochdramatischen musikalischen Ritt durch die Unterwelt. Auf der Bühne fährt Faust währenddessen in seine persönliche Hölle: Er ist dem Druck erlegen, Méphistophélès hat, als vermeintlich besserer Faust, seinen Platz am Schreibtisch eingenommen. Wer nicht mithält, wird ausgetauscht. Es zählen ja schließlich nur die Gewinne.