Marguerite dagegen ist die strahlende Erscheinung, die als Projektionsfläche für die Sehnsüchte der Männer herhalten muss. Über weite Strecken ist ihre Figur eher passiv angelegt, sie flieht wie ein gehetztes Tier vor Fausts Angestellten, die sie bedrängen. Dass sie sich dann ausgerechnet in die Arme ihres Chefs rettet, kann nur durch Méphistophélès‘ Einwirkung erklärt werden. Berlioz räumt der Gretchentragödie in seiner Komposition wenig Raum ein, was schade ist, da die Mezzosopranistin Monika Walerowicz ihre Marguerite mit einer so strahlend warmen Stimme gestaltet, dass ihre Figur mehr Raum verdient hätte. Marguerite ist es auch, die Fausts Blumen auf dem Schreibtisch austauscht und Faust so eine Verbindung zur Natur und zum Leben schafft. Je mehr dieser in seiner Wahnwelt versinkt, desto mehr erobert die Natur sein Büro.
An vielen Stellen arbeitet die Regisseurin dabei mit metaphorischen Ebenen, in die Faust wie in Traumszenen abtaucht. Tiermasken als Symbol der Triebhaftigkeit, ein kleiner Vogel, den Faust bei sich trägt, immer wieder kurz auftauchende, teilweise grotesk verzerrte Figuren – Signeyroles Inszenierung ist sehr vielschichtig. Allerdings verliert sie sich dabei in einer ganzen Reihe von Symbolen, die sie nicht immer stringent erzählt und zusammenführt. So taucht Faust zu Beginn immer wieder als Kind auf. Später wird diese Motivik nicht mehr aufgegriffen. Der ältere Faust und sein Alter Ego Méphistophélès beherrschen die Szenerie. Als einzige in blaue Anzüge gekleidet (Kostüme: Yashi) stechen sie vor den schwarz-grauen Anzügen der Angestellten heraus. Immer wieder werden ihre Emotionen live mitgefilmt und auf die Leinwand übertragen; ergänzt durch Videoinstallationen (Realisation: Baptiste Klein), die den Ort des Geschehens lose aufgreifen, etwa indem sie die Glasfronten eines Hochhauses projizieren, in dem die Angestellten der Faust Company die Aktienkurse überwachen.
Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover (Leitung: Lorenzo Da Rio) singen diese graue Büromasse homogen und fein ausgelotet. Unterstützt werden sie dabei vom Bewegungschor, der einzelne Szenen choreographisch umsetzt. So entstehen viele Tableaus mit starken Bildern (Choreographie: Julie Compans). Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Ivan Repušić setzt der Nüchternheit auf der Bühne großen Farbreichtum entgegen. Fausts Höllenfahrt wird zu einem hochdramatischen musikalischen Ritt durch die Unterwelt. Auf der Bühne fährt Faust währenddessen in seine persönliche Hölle: Er ist dem Druck erlegen, Méphistophélès hat, als vermeintlich besserer Faust, seinen Platz am Schreibtisch eingenommen. Wer nicht mithält, wird ausgetauscht. Es zählen ja schließlich nur die Gewinne.